Organisation und Zuständigkeiten
4. Ministeranklage
a) Rechtslage
Der Landtag kann gegen ein Mitglied der Regierung wegen Verletzung
der Verfassung oder sonstiger Gesetze beim Staatsgerichtshof Anklage
erheben.“!? Voraussetzung einer Entscheidung ist, dass diese Verletzung
ın Ausübung der Amtstätigkeit absichtlich oder grob fahrlässig erfolgt
ist. Soweit nicht besondere Bestimmungen im Staatsgerichtshofgesetz
vorgesehen sind, richtet sich das Verfahren nach der Strafprozessord-
nung. 43
b) Anfänge und Ausbildung
Die sogenannte Ministeranklage ist in der Konstitutionellen Verfassung
von 1862 kaum ausgebildet worden. Dem Landtag stand zwar das Recht
des Antrages auf Anklage wegen Verfassungs- und Gesetzesverletzun-
gen der verantwortlichen Staatsdiener zu.“!* Es fehlten jedoch die dazu
erforderlichen Ausführungsregelungen. Dies erklärt sich daraus, dass die
Staatsdiener dem Landesfürsten verantwortlich waren und Disziplinar-
und Strafmassnahmen («Entsetzung und Bestrafung öffentlicher Beam-
ten») zu den Gegenständen gehörten, die an den Fürsten zu leiten
waren. +15
Die Verfassung von 1921 erwähnt die Ministeranklage in Art. 62
Bst. g*!6 und zählt sie ausdrücklich zum Wirkungsbereich des Landtages.
Sie richtet sich gegen die Mitglieder der Regierung «wegen Verletzung
der Verfassung und der Gesetze». Das Staatsgerichtshofgesetz von 1925
führt diese Verfassungsvorschrift näher aus und ergänzt die parlamenta-
rische Verantwortlichkeit, insoweit das Fehlverhalten der Regierungs-
mitglieder «in Ausübung der Amtstätigkeit absichtlich oder grobfahrläs-
412 Siehe Art. 62 Bst. g LV und Art. 28 ff. SSGHG; zum Anklagerecht des Landtages
siehe Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 223 ff. und hinten S. 658 ff.
413 Siehe Art. 30 Abs. 1 SEGHG.
414 Siehe $ 40 Bst. d und $ 42 KV 1862 und auch vorne S. 95.
415 Siehe $ 93 Amtsinstruktion von 1862; vgl. auch Herbert Wille, Verfassungsgerichts-
barkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 14 f.
416 Auf diese strafrechtliche Verantwortlichkeit nimmt in der Folge auch Art. 19 Abs. 1
und 2 LVG Bezug. Siehe LGBl. 1922 Nr. 24, geändert durch LGBI. 1966 Nr. 24.
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