Volltext: Die liechtensteinische Staatsordnung

Begnadigung und Niederschlagung von Strafverfahren 
auf solche des Landesverwaltungspflegegesetzes.!7? Es erinnert an den 
alten Gnadenbegriff, als Gnade noch einen «Gunstbeweis des Landes- 
herrn» bedeutete, sodass er auch Platz im Verwaltungsrecht fand, wo er 
heute nach der modernen Lehre, die ihn dem Bereich des Strafrechts 
vorbehält, nicht mehr hingehört.!”” Dieses Verständnis von Gnade hat 
sich lange halten können und ist auch aus dem Umstand zu erklären, 
dass es sich beim Landesverwaltungspflegegesetz um einen österrei- 
chischen Entwurf aus der Kaiserzeit (1911 bis 1914) handelt, der ihm als 
Vorbild gedient hat.!7* 
Die Absätze 1 und 2 von Art. 145 LVG stellen allerdings insoweit 
eine Ausnahme dar, als nicht der Landesfürst, sondern die Regierung 
oder eine andere Verwaltungsbehörde das Begnadigungsrecht ausübt. So 
kann die Regierung von Amtes wegen oder auf Antrag die Strafe auch 
ohne einen Strafaufschub gänzlich oder teilweise nachlassen oder aber 
den Rest der Strafe nachsehen, wenn es sich um «geringere Verwal- 
tungsstrafsachen» handelt oder «wenn sonst besonders rücksichtwür- 
dige Umstände in einem Straffalle vorliegen». Ähnlich ist auch bei 
«geringfügigen» Verwaltungsstraftaten bei Jugendlichen vorzugehen. 
Die Verwaltungsbehörde (Amtsperson) kann im Entscheid davon abse- 
hen, eine Strafe zu verhängen «und den Täter nach ernster Verwarnung 
zum Wohlverhalten entlassen». 
Die Verfassung von 1921 übernimmt das Institut des Gnadenrechts 
unverändert in seinem historischen Verständnis. Das heisst, dass sie an 
den überkommenen, mit dem Fürsten verbundenen Gnadenbegriff an- 
knüpft!” wie er zur Zeit der Konstitutionellen Verfassung von 1862 ge- 
golten hat. Sein Bedeutungsgehalt erschliesst sich demnach aus der Ent- 
  
172 Art. 145 Abs. 4 LVG ist zu entnehmen, dass durch die vorstehenden Bestimmungen 
(Art. 145 Abs. 1 und 2) «das dem Landesfürsten zustehende Recht auf Begnadigung 
nicht berührt» wird. Vgl. auch Gregor Steger, Fürst und Landtag, S. 93 f. 
173 Johann-Georg Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 9. 
174 Vgl. Andreas Kley, Grundriss, S. 22 und Harry Gstöhl, Verwaltungsbeschwerde- 
instanz, S. 144. Nach Johann-Georg Schätzler, Handbuch des Gnadenrechts, S. 9 ist 
im Verwaltungsrecht für die Gnade im modernen Verständnis kein Raum. Der Gna- 
denbegriff habe sich als «notwendige und selbstverständliche Folge des Untergangs 
der (monarchischen) Staatsform» gewandelt. 
175 Die Verfassung von 1921 weist ihn noch in ihrer Einleitungsformel als Fürsten «von 
Gottes Gnaden» aus. Zur Kritik dieser Formel siehe vorne 5. 137 ff., 181 f. und hin- 
ten S. 712 f. 
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