Verfassungsrevision von 1921
4. Staatsrechtliche Bewertung
Die beiden Verfassungsvorschläge gehen von unterschiedlichen Verfas-
sungsvorstellungen aus und verfolgen ungleiche Ziele, die beim politi-
schen Gegner auf Ablehnung stossen.® Der Entwurf von Wilhelm Beck
postuliert eine «demokratische Monarchie auf parlamentarischer
Grundlage», wobei die Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk geteilt
wird. Er stellt eine Totalrevision? bzw. Weiterentwicklung des konstitu-
tionellen Systems der Verfassung von 1862 dar, indem er vom monar-
chischen Konstitutionalismus abrückt und zur parlamentarischen
Monarchie übergeht. Diese Aussage muss allerdings relativiert werden,
soweit er ein einvernehmliches Vorgehen zwischen Fürst und Landtag
bei der Bestellung des Landammannes festlegt und in diesem Rahmen
dem monarchischen Konstitutionalismus verhaftet bleibt, nicht aber was
seine Entlassung sowie die Wahl und die Entlassung der anderen Regie-
rungsmitglieder betrifft, für die ausschliesslich der Landtag zuständig ist.
Was die Entlassung der Regierung und damit auch des Landammannes
angeht, ist sie insgesamt nur vom Vertrauen des Landtages abhängig. Die
Teilung der Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk erinnert an $ 34 des
Verfassungsentwurfs des ständischen Verfassungsrates vom 1. Oktober
1848. Die Konstitutionelle Verfassung von 1862 weist den Fürsten als
alleinigen Inhaber der Staatsgewalt aus und hält so gesehen am monar-
chischen Prinzip fest, auch wenn es zur Fiktion geworden ist” und in
der Verfassungsrealität nicht mehr voll zum Tragen kommt.
Auffallend ist auch, dass sich der Verfassungsentwurf rechts- und
verfassungsstaatlichen Forderungen verpflichtet weiss und infolgedessen
grossen Wert auf rechtsstaatliche Einrichtungen legt, wie sie insbeson-
dere in der Verwaltungsbeschwerdeinstanz ($ 70) und im Staatsgerichts-
hof ($ 79) zu sehen sind.
Der Verfassungsentwurf von Prinz Karl von Liechtenstein beharrt
grundsätzlich auf dem bisherigen Verfassungstyp des monarchischen
38 Vgl. Herbert Wille, Regierung und Parteien, S. 106 f.
39 So auch die Auffassung von Prinz Eduard von Liechtenstein; siehe Rupert Quade-
rer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 248.
40 Vgl. auch Otto Ludwig Marxer, Die Organisation der obersten Staatsorgane, S. 3.
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