Monarchischer Konstitutionalismus
Der monarchische Konstitutionalismus, wie ihn die Konstitutionelle
Verfassung von 1862 enthält, erweist sich im Verlaufe der Zeit, wie die
Staatspraxis bestätigt, als ein im gegenseitigen Verhältnis von Fürst und
Landtag flexibles System, wenn auch normativ das monarchische Ele-
ment in der Verfassung überwiegt. Dies ist die Konsequenz des Staats-
aufbaus, «der ganz von der Exekutive her geprägt und konzipiert ist».“!8
$12 LANDESFÜRST UND GERICHTSBARKEIT
I. Justizhoheit des Landesfürsten
Die Gerichtsbarkeit wird im Auftrag des Fürsten «verwaltet» bzw. aus-
geübt. Sie geht vom Fürsten aus, der die Justizhoheit innehat.“!? Sie wird
jedoch konstitutionell eingeschränkt, indem sich die Verfassung zum
Prinzip der Unabhängigkeit der Judikative bekennt. So sind die Gerichte
innerhalb der Grenzen ihrer gesetzlichen Wirksamkeit «in dem materiel-
len der Justizertheilung und in dem gerichtlichen Verfahren unabhängig
von aller Einwirkung durch die Regierung» ($ 34 KV). In der Staatspraxis
wird aber diese Verfassungsgarantie in funktioneller wie in organisato-
rischer Hinsicht nicht voll verwirklicht. Man wollte den «Besitzstand der
monarchischen Gewalt» nicht schmälern und verwehrte dem Landtag
den Zugriff auf die Justiz. Es wurde ihm nur zugestanden, Mängel und
Missbräuche in der Rechtspflege, die er selber feststellt oder die an ihn
herangetragen werden, «direct an den Landesfürsten zu bringen und auf
deren Abstellung anzutragen» ($ 42 KV). Auch von einer 1848 erhobe-
nen Forderung nach «landeseigenen Gerichten» mussten die Landstände
in ihrer überarbeiteten Verfassungseingabe vom 22. Dezember 1861 an
den Fürsten Abstand nehmen.“?! Sie mussten in den Auseinandersetzun-
418 Vgl. Wilhelm Mössle, Regierungsfunktionen des Parlaments, S. 87.
419 Der Fürst ist Inhaber der Gerichtsbarkeit. Siehe $ 33 KV 1862 und Art. 99 Abs. 1
LV 1921; nach 2003 liegt die Justizhoheit bei Fürst und Volk (Art. 95 Abs. 1 LV
2003), obwohl noch in Art. 97 Abs. 1 LV 2003 einseitig von «fürstlichen» Gerichten
die Rede ist.
420 Diese Formulierung ist Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2,
S. 116 entlehnt.
421 Die betreffende Akte hat mir freundlicherweise Peter Geiger zur Verfügung gestellt.
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