Monarchischer Konstitutionalismus
Freiheit und das Eigentum der Bürger eingreifen, der notwendigen Mit-
wirkung und Zustimmung des Landtages.35 Auch wenn die Freiheits-
und Eigentumsformel nicht in der Konstitutionellen Verfassung von
1862 erwähnt ist, ergibt sie sich als anerkannter Mindestinhalt der an die
Teilnahme des Landtages gebundenen Gesetzgebung. Wenn nämlich die
Gesetzgebung als solche dem Zusammenwirken von Fürst und Landtag
unterstellt ist, ist damit der Eingriffsvorbehalt implizit anerkannt.?®
Der Anteil an der Gesetzgebung umfasst zumindest diejenigen
Gesetze, die die Freiheit und das Eigentum der Bürger betreffen. Die
Konstitutionelle Verfassung von 1862 enthält zwar keine Inhaltsum-
schreibung des Gesetzes bzw. äussert sich nicht zur Frage der Kompe-
tenz des Gesetzgebers, um eine Abgrenzung zum selbständigen Verord-
nungsrecht des Fürsten ($ 24 Abs. 2 KV) vorzunehmen.
Die Praxis folgte zunächst der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes,
nach der alle «Eingriffe in Freiheit und Eigentum der Bürger» die
Zustimmung des Landtages erforderten. Zwar war damit die Zuständig-
keit der Volksvertretung im Wesentlichen auf die persönlichen und
gesellschaftlichen Belange der Bürger beschränkt, während alle staatli-
chen und politischen Fragen, wie etwa diejenige der Staatsorganisa-
tion?97, vornehmlich Sache des Fürsten und seiner Regierung blieben.288
So ist das Organisationsrecht von der Zustimmung des Landtages aus-
384 Siehe etwa den Titel VIT $ 2 der Verfassung für Bayern 1818, der besagt: «Ohne Bey-
rath und die Zustimmung der Stände des Königreichs kann kein allgemeines neues
Gesetz, welches die Freyheit der Personen oder das Eigenthum der Staatsangehöri-
gen betrifft, erlassen, noch ein schon bestehendes abgeändert, authentisch erläutert
oder aufgehoben werden». Art. 81 Abs. 4 LVG kennt diese Freiheits- und Eigen-
tumsformel heute noch.
385 Siehe etwa die Steuerbewilligung, die $ 40 Bst. b KV 1862 ausdrücklich zu den
Gegenständen zählt, die der «Wirksamkeit des Landtages» unterliegen.
386 Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, S. 129; siehe auch Cyrus Beck, Der Vorbe-
halt des Gesetzes der liechtensteinischen konstitutionellen Verfassung von 1862,
S. 109 ff.
387 So erfolgte beispielsweise die Trennung der Justizpflege von der Administration in
Form einer fürstlichen Verordnung. Siehe dazu die Amtsinstruktion von 1871,
LGBl. 1871 Nr. 1.
388 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monar-
chie, S. 283 f.; aus der Sicht des Konstitutionalismus des Vormärz, auf den auch die
Konstitutionelle Verfassung von 1862 zurückgeht, siehe Thomas Würtenberger, Der
Konstitutionalismus des Vormärz, S. 169 f.
118