Das urchristliche Kirchenbild erneuert
Nach eingehender Vorbereitung wurde das Konzil am 11. Oktober 1962
eröffnet. Zum ersten Mal in der Geschichte versammelte sich tatsächlich
die Weltkirche in Rom, Bischöfe aus 133 Nationen, dazu die Beobachter
aus nichtkatholischen Kirchen — eine solche Einladung hatte es noch nie
gegeben! Berühmt geworden ist die Ansprache Papst Johannes’ XXIIL;
er sprach über eine halbe Stunde. Er sagte unter anderem:
«Die Hauptaufgabe des Konzils liegt darin, das heilige Überliefe-
rungsgut der christlichen Lehre mit wirksameren Methoden zu
bewahren und zu erklären. [...] Damit diese Lehre die vielfältigen
Bereiche des menschlichen Wirkens erreicht, sowohl den Einzel-
nen wie die Familien und das soziale Leben, ist es vor allem nötig,
dass die Kirche ihre Aufmerksamkeit nicht von dem Schatz der
Wahrheit abwendet, den sie von den Vätern ererbt hat. Sodann
muss sie auch der Gegenwart Rechnung tragen, die neue Umwelt-
bedingungen und neue Lebensverhältnisse geschaffen und dem
katholischen Apostolat neue Wege geöffnet hat.»!
Bereits zehn Tage nach der Eröffnung begann die Besprechung der Litur-
gie-Konstitution «Sacrosanctum Concilium». Sie war eine von vier Kon-
stitutionen; die anderen betrafen die Kirche, die Offenbarung und die
Kirche in der Welt von heute. Dazu kamen weitere zwölf Dokumente,
darunter neun Dekrete und drei Erklärungen. Bei den Konstitutionen
über die Liturgie und die Kirche ging es dem Konzil weder um die Schaf-
fung eines neuen, modernen Kirchenbildes noch um eine neue Form der
Liturgie, sondern um die Erneuerung des Verständnisses von Kirche und
Liturgie mit dem Blick auf die ersten christlichen Jahrhunderte.
Am Pfingstmontagabend, dem 3. Juni 1963, ist Papst Johannes
XXIII. gestorben, womit das von ihm einberufene Konzil beendet gewe-
sen wäre, hätte der Nachfolger nicht schon am 27. Juni, bereits sechs
Tage nach seiner Wahl, die offizielle Wiedereinberufung bekannt gege-
ben. Paul VI., der vergessene Papst, hat den Verlauf des Konzils und die
Durchführung der Beschlüsse entscheidend geprägt.
1 Rede von Papst Johannes XXIII. zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils
am 11. Oktober 1962, in: Herderkorrespondenz 17 (1962/63), S. 85-88.
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