Volltext: Wer Bescheid weiss, ist bescheiden

Günther Boss 
eine Lebensform vorstellen» (Philosophische Untersuchungen, $ 19). 
Gemäss Wittgenstein stimmen die Menschen nicht in dem überein, was 
sie meinen und sagen, sondern in der «Lebensform» (vgl. ebd., $ 241). 
Bei Wittgensteins Begriff der Lebensform dürfte im Hintergrund 
die sogenannte Lebensphilosophie mitschwingen, die sich im 19. Jahr- 
hundert im Gegensatz zum Positivismus und Neukantianismus entwi- 
ckelt hat. Auf diese Hintergründe kann hier nicht eigens eingegangen 
werden. Von den Philosophen der Gegenwart sollen aber wenigstens drei 
Autoren genannt werden, die das Verhältnis von Philosophie und Le- 
bensform ins Zentrum ihrer Untersuchungen rücken. Sie artikulieren da- 
bei mitunter sogar praktische Ratschläge, die einzelne Analogien zur Re- 
gel Benedikts zeigen. Zu nennen ist der französische Philosoph Pierre 
Hadot, besonders mit seinem Buch «Philosophie als Lebensform. Antike 
und moderne Exerzitien der Weisheit».” Hadot greift schwerpunktmäs- 
sig zurück auf die antike Philosophie. Er lenkt die Aufmerksamkeit wie- 
der neu auf die existenzformende Bedeutung antiker philosophischer 
Lehren und geistiger Übungen. Hadot schreibt: «Ich habe erkannt, dass 
die Philosophie nicht nur eine bestimmte Art, die Welt zu sehen, ist, son- 
dern eine Art zu leben und dass alle theoretischen Diskurse nichts sind 
im Vergleich mit dem konkreten gelebten philosophischen Leben.»* 
Für den deutschen Sprachraum sind beispielsweise die Arbeiten der 
Philosophen Wilhelm Schmid und Peter Bieri zu erwähnen. Wilhelm 
Schmid möchte in seiner «Philosophie der Lebenskunst» nützliche Ele- 
mente bereitstellen, mit deren Hilfe ein Individuum sein Leben selbst ge- 
stalten kann: «Nach Lebenskunst fragen diejenigen, für die sich das Le- 
ben nicht mehr selbst versteht, in welcher Kultur und Zeit auch immer.»* 
Er führt die Fragen nach Lebensführung, Lebensstil und Lebensform 
weiter bis zur ästhetischen Frage nach dem «schönen Leben». 
Peter Bieri, emeritierter Professor für analytische Philosophie und 
besser bekannt als Romancier unter dem Pseudonym Pascal Mercier 
(«Nachtzug nach Lissabon»), hielt 2011 unter dem Titel «Wie wollen wir 
leben?» bei den Franziskaner-Minoriten in Graz eine Vorlesungsreihe. 
  
3 Die französische Originalausgabe trägt den Titel «Exercices spirituels et philosophie 
antique», Paris 1981. Im Folgenden wird zitiert aus der 2. Auflage der deutschen 
Übersetzung, Frankfurt a. M. 2005. 
4 A.a.O., 5.9. 
5 Wilhelm Schmid, Philosophie der Lebenskunst, S. 9. 
406
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.