4.12
Beschwerdemöglichkeiten
Aus rechtsstaatlicher Sicht ist es geboten, dass die Bürgerinnen und Bür-
ger im Wahl- und Abstimmungsverfahren Beschwerde bei unabhängigen
Instanzen einlegen können, wenn sie Unregelmässigkeiten, Wahlbetrug,
Manipulationen etc. feststellen. Dieses Erfordernis ist in einem konstitu-
tionellen politischen System, wie es Liechtenstein darstellt, noch ausge-
prägter als etwa in der Schweiz, deren Staatsordnung sehr stark auf dem
Prinzip der Volkssouveränität aufgebaut ist. Entsprechend stärker
sind in Liechtenstein die rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen entwi-
ckelt, etwa in Form von Kompetenzen des Staatsgerichtshofes.
4.12.1 Beschwerden nach Verfahrensschritt
Im Falle von Volksabstimmungen bzw. direktdemokratischen Verfahren
müssen in Liechtenstein hinsichtlich der Beschwerdemóglichkeiten vier
Stufen getrennt betrachtet werden.*?
Erstens sind im Rahmen des Initiativrechts Beschwerden vor dem
Beginn einer Unterschriftensammlung zulässig, wenn beispielsweise Ini-
tiativen von der Regierung oder dem Landtag für unzulässig oder nichtig
erklärt werden. Als verfahrensmässig ähnliche Fälle wie Initiativen sind
401 Marxer und Pällinger 2007; 2009a; siehe auch den kritischen Beitrag von Egerszegi-
Obrist (2016) zur möglichen Reform der direkten Demokratie in der Schweiz.
402 Siehe auch Wille 2015, S. 444—448. Er unterteilt sein Kapitel über den «Rechts-
schutz» abweichend von unserer Darstellung, die sich an den Verfahrensschriuen
bei direktdemokratischen Verfahren orientiert, in. fünf Abschnitte: 1. Stimmbe-
schwerde — Eintragung im Stimmregister; 2. Zurückweisung und Nichtigerklirung
von Volksinitiativen; 3. Wahlbeschwerde; 4. Abstimmungsbeschwerde; 5. Indivi-
dualbeschwerde wegen Verletzung verfassungsmässig gewährleisteter Rechte.
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