Wenn es nach den Experten geht, ist die grosse Herausforderung der Faktor Mensch. Die Mitarbei-
tenden werden aktuell nicht so eingeschätzt, als würden sie zu diesem System passen. Zudem ist
der Arbeitsmarkt mit den „richtigen“ Personen schlicht zu klein um ein solches System fahren zu
können. Die Experten erachten es gewagt zu erwarten, dass sich sämtliche Personen in so einem
System wohl fühlen würden. Erfahrungsgemäss sei dies eher umgekehrt, die Mehrheit der Mitarbei-
tenden fühlt sich im aktuellen Arbeitsumfeld wohl und möchte diese Verantwortung gar nicht über-
nehmen. Im Bereich des Verantwortungsbewusstseins lässt sich eine Problematik erkennen. Auf
der einen Seite wird das Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeitenden seitens Führungskräfte als
eher gering angesehen. Auf der anderen Seite, wenn man dem Human-Ressourcen-Ansatz (vgl.
3.4) glauben schenkt, sind es genau die klassischen Organisationsformen, welche durch die strikten
Autoritätsverteilungen und Regeln die Entfaltung des Verantwortungsbewusstsein und der Eigenini-
tiative einschränken. Was wiederum dafürsprechen würde, dass man versucht etwas daran zu än-
dern.
Sollten diese Annahmen stimmen, wäre es von Interesse zu erfahren was die Arbeitnehmer darüber
denken. Es wäre durchaus möglich, dass dies zu anderen Ergebnissen führen würde. Die geforder-
ten und identifizierten Kompetenzen der Mitarbeitenden sind mit Flexibilität, Eigenmotivation, Offen-
heit und dem bereits erwähnten Verantwortungsbewusstsein nicht weit hergeholt. Um den Mitarbei-
tenden jedoch auch die Möglichkeit zu geben die Selbstorganisation zu leben, müsste gemäss der
Selbstorganisationstheorie (vgl. 3.5) auch die Organisationen flexibel, anpassungsfähig und kreativ
sein, sowie einer offenen Kommunikation und einem zumindest partizipativen Führungsstil folgen.
Man steht hier somit in einem Spannungsfeld.
Die Herausforderungen bezüglich Komplexität des Bankensektors sowie des Faktors Regulator
scheinen berechtigt. Im Moment sind schlicht zu wenig erfolgreiche Praxisbeispiele vorhanden, wel-
che die Experten vom Gegenteil überzeugen könnten. Der anfängliche Abstimmungsbedarf wäre
wohl immens hoch, was eine lange Vorbereitungszeit verlangen würde. Auch die Gefahr eines Still-
stands des Unternehmens geht natürlich mit, bei einer vollumfänglichen Umstellung auf die Holakra-
tie. Dies würde grundsätzlich der Aussage von Laloux (2015) wiedersprechen, dass weder ein geo-
grafischer oder kultureller Hintergrund noch die Grösse der Organisation oder dessen Aktivität aus-
schlaggebend ist für die Umsetzung einer evolutionären Organisation (vg/. 3.2). Die Experten wür-
den demnach der Meinung von Bernstein et al. (2016) zustimmen, welcher die Anwendung der
Holakratie nur dann als sinnvoll erachtet, wenn falsche Entscheidungen nicht in einer Katastrophe
enden können und keine expliziten Kontrollen notwendig sind.
Die Holakratie wird von den Experten infolgedessen als Modell für junge Unternehmen gesehen,
welche auf einer grünen Wiese beginnen kónnen. Im Bankenvertrieb sehen sie durchaus Potential,
Ansátze des Grundgedankens zu übemehmen. Ohnehin kónnen sie sich gut vorstellen, dass das
Modell in einzelnen Bereichen und Teams funktionieren kónnte. Eine ganze Bankorganisation auf
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