Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2017) (2017)

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setzt worden war, um den immer wieder vorkommen 
den Weidestreitigkeiten mit den Fläschern und Mai 
enfeldern endlich Einhalt bieten zu können. Und - so 
dürfte wohl mit grosser Wahrscheinlichkeit das von 
den Balzner Zeugen vorgebrachte Hauptargument ge 
wesen sein - auch ihren Gegnern vor Gericht war der 
Standort dieses Grenzsteins bestens bekannt. Denn es 
ist nicht daran zu zweifeln, dass sie diesen Stein, mög 
licherweise anlässlich eines Untergangs, gemeinsam 
gesetzt und sich dabei über die Aufteilung des umstrit 
tenen Weidegebiets verständigt hatten. Die Reaktion 
der Fläscher Zeugen vor Gericht scheint jedenfalls, so 
lässt sich dem Urkundentext entnehmen, keineswegs 
überzeugend gewesen zu sein, und der Gerichtsvor 
sitzende hält denn auch unmissverständlich fest: Dar 
wider sagten meines oheims graf Donats und seiner hüte 
kundtschaften gantz und gar und auf keine weiss nichts, 
dass denen von Fhsch etwas nuz oder guth gewesen wäre. 
Ein klares Verdikt also gegen die Dorfgenossen von 
Fläsch/ Maienfeld und ihren Versuch, die Weidegründe 
an der St. Luzisteig auf Kosten der Balzner Nachbarn 
auszudehnen? Fragen sind diesbezüglich angebracht. 
Warum nur ziehen die Fläscher Dorfgenossen bei einer 
augenscheinlich so klaren Sachlage den Konflikt vor 
ein Gericht? Mussten sie nicht offensichtlich damit 
rechnen, dass es für sie ausser Spesen nichts dabei zu 
holen gab? Was für eine Rolle spielte dabei der sie vor 
Gericht vertretende Landesherr Donat von Toggen- 
burg? Was für ein Interesse hätte er an einem Gerichts 
prozess haben können, dessen Ausgang im Grunde ge 
nommen wohl von Anfang an fest stand und nur zu 
Ungunsten seiner Untertanen ausgehen konnte? Was 
also stand für ihn auf dem Spiel? 
Zunächst stellt sich jedoch die Frage, ob wir wirklich 
davon ausgehen dürfen, dass für die damaligen Kon 
fliktparteien der Grenzverlauf im umstrittenen Weide 
gebiet an der St. Luzisteig unverrückbar feststand. 
Guy Marchal hat in seinem Einleitungsaufsatz zu dem 
von ihm herausgegebenen Sammelband über Grenzen 
und Raumvorstellung auf die Problematik hingewie 
sen, die sich mit der Vorstellung von linearen Grenzen 
aus mittelalterlichen Grenzbeschreibungen ergibt. Auf 
moderne Karten übertragbare Grenzpunkte würden 
zur Annahme verleiten, es gäbe als direkte Verbin 
dung zwischen den Orientierungspunkten exakt ver 
laufende Grenzlinien. Wo aber aus topographischen 
Gründen eine abschreitbare lineare Grenzsetzung im 
Gelände nicht vorgenommen werden konnte, sei es 
fraglich, wie reell solche Verbindungslinien gewesen 
und als wahrnehmbare Grenzen wirksam geworden 
seien. Marchal warnt denn auch davor, sich lediglich 
auf die Grenze selbst zu konzentrieren und anzuneh 
men, präzise Grenzvorstellungen seien im Mittelalter 
möglich gewesen, weil eine Grenze problemlos auf 
unseren Karten eingezeichnet werden könne. 
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aber daraus 
für die vor Gericht verhandelten Grenzstreitigkei 
ten von 1389 ziehen? Soweit die durch den von den 
Konfliktparteien gesetzten Markstein in der Brataser- 
na-Wiese festgelegte Grenze mit den beiden Rich 
tungsangaben Rothe Rüffe auf der einen und Spitzagud 
auf dem Fläscherberg auf der anderen Seite problem 
los im Gelände zu Fuss abgeschritten werden konnte, 
dürfen wir ohne Zweifel davon ausgehen, dass es sich 
um eine genaue und von den Parteien nicht in Frage 
gestellte Grenzlinie handelte. Die Fläscher und Mai 
enfelder konnten anscheinend auch nichts dagegen 
Vorbringen. 
Anders hingegen wird es sich wohl in jenem Gebiet 
verhalten haben, in denen der ungefähre Grenzver 
lauf lediglich durch die oben erwähnten Fluchtpunk 
te vorgegeben wurde und vielmehr einen Grenzsaum 
bezeichnete, in welchem [künftige] Nutzungskonflik 
te nicht ausgeschlossen werden konnten. 1389 jedoch 
entschied das Gericht einen Konflikt aufgrund von 
vorliegenden Zeugenaussagen, die es den beteiligten 
Schiedsrichtern anscheinend leicht machten, ein ein 
helliges und zugunsten der Balzner Dorfgenossen lau 
tendes Urteil zu fällen. 
Die Sachlage war so klar, dass kein Stichentscheid des 
Gerichtsvorsitzenden nötig wurde und Johann von 
Werdenberg-Sargans kann denn auch befriedigend 
festhalten: So haben dieselben vier, und ein jeder besonders 
von ihnen, mir zur antworth ertheilt auf ihren eyd, dass die 
ehegenannte meines vettern graf Heinrichs und seiner hüte 
denen von Balzers ihre kundtschaften um weit und viel 
in allen Sachen die bessere und gerechtere kundtschaften 
seyen und sonderheitlich, dass die von Balzers billig und 
von rechts wegen bey den vorgenannten marken bleiben 
solhn, und dass die von Fhsch kein ineh dafür herab von 
ihnen waiden solhn noch von waid oder gemeindschafts 
wegen für dieselben herabwerts etwas zu schaffen oder zu 
thun haben solhn. Dargegen solhn auch die von Balzers 
für die ehegenannten marken hinaufwerts kein ihniges vieh 
waiden noch von waid oder gemeindschafts wegen dafür 
hinauf etwas zu thun oder zu schaffen haben. Und wehher
	        

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