Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2017) (2017)

66 
welchem jede Generation und jeder an der Vergangen 
heit interessierte Forscher seine eigenen Fragen stellt 
und nach Antworten sucht. 
Jeder Historiker ist zwar auf die vorhandenen Quel 
len angewiesen, die er jedoch auf seine eigene Weise 
zum Sprechen bringen will. Dabei stehen ihm aber 
zwei vordergründig einander entgegenstehende Ver 
fahrensweisen zur Verfügung. Entweder er analysiert 
die zur Verfügung stehenden Quellen oder er erzählt 
die oder eine darauf beruhende Geschichte. Der mit 
seinem Buch «Die Schlafwandler. Wie Europa in den 
Ersten Weltkrieg zog» [auf Deutsch 2013 erschie 
nen] weltbekannt gewordene australische Historiker 
Christopher Clark äusserte sich diesbezüglich in 
einem in der Neuen Zürcher Zeitung am 30. Septem 
ber 2016 erschienenen Interview: 
«Früher ging man von einer falschen Dichotomie aus. 
Entweder man analysiert, oder man erzählt. [...] Das 
ist eine falsche Polarisierung der Methoden. Man kann 
auch analytisch erzählen. Das Schöne am Narrativ ist 
ja, dass man die Akteure der Geschichte atmen lassen 
kann. Wir haben es ja nicht mit Steinen zu tun.» 
Für den folgenden Beitrag soll uns Clarks Diktum als 
Leitlinie dienen, denn es gilt für jede Zeitepoche, für 
die des Spätmittelalters ebenso sehr wie für die des 
Ersten Weltkriegs. Die genaue Analyse der jeweils vor 
genommenen Quelle soll dabei Ausgangspunkt sein, 
sinnvolle Fragen an den überlieferten Text zu stellen 
und nach möglichen Antworten zu suchen, die - auch 
wenn sie explizit nicht quellenmässig fassbar sind - 
zumindest eine historische Wahrscheinlichkeit für sich 
beanspruchen dürfen. Zugegeben, es mag eine mitun 
ter gewagte Gratwanderung zwischen einigermassen 
fundiertem Wissen und der Gefahr ins Kraut schies 
sender Spekulationen sein, aber solange dem Mitwan 
derer auf dieser historischen Fährte klar angezeigt 
wird, wo der Weg relativ gesicherten Wissens verlas 
sen und auf einen Pfad nicht völlig auszuschliessender 
Mutmassungen abgezweigt wird, darf ein solches Vor 
gehen gewagt werden. 
Auf die hier im Zentrum des Interesses stehenden lang 
andauernden Grenzstreitigkeiten zwischen der Ge 
meinde Balzers und den bündnerischen Gemeinden 
Fläsch und Maienfeld machte bereits 1879 Hippolyt 
Ludwig von Klenze in seiner Arbeit über die liech 
tensteinische Alpwirtschaft aufmerksam. 1 Eine kurze, 
aber faktenreiche Übersicht über die wichtigsten 
Quellen zur Balzner Gemeindegrenze südlich gegen 
Fläsch und Maienfeld, westlich gegen Sargans und 
Wartau und nördlich gegen Triesen stellte Dominik 
Frick in seinem 1982 publizierten Beitrag zusammen. 2 
Paul Vogt unternahm es dann schliesslich in diesen 
Neujahrsblättern 2005, die Regulierung der Landes 
grenzen zu Graubünden und somit auch die südliche 
Balzner Gemeindegrenze zu untersuchen. 3 Als ehema 
liger Landesarchivar und notabene Balzner Bürger war 
Paul Vogt sozusagen geradezu prädestiniert dafür. Und 
er legte denn auch eine akribisch recherchierte Studie 
vor, die - zumindest was das Faktische betrifft - kaum 
Wünsche übriglässt. 
Warum, so mag sich der interessierte Leser fragen, also 
noch einmal die Balzner Gemeindegrenzen thema 
tisieren? Ich habe bereits andeutungsweise versucht, 
meine Motivation für eine erneute Behandlung die 
ses spannenden, weil interessante Einblicke in längst 
vergangene Lebenswelten gewährenden Themas dar 
zulegen. Und es ist durchaus damit zu rechnen, dass 
mehr Fragen an die zur Verfügung stehenden Quel 
lentexte gestellt werden, als wir Antworten darauf zu 
finden vermögen. Auch werden die gefundenen und 
vorgeschlagenen Antworten wohl kaum immer restlos 
überzeugen. Aber wenn sie zu kritischem Nachdenken 
und vielleicht sogar zu kontroverser Stellungnahme 
Anregung bieten, dann ist ein erster und wesentlicher 
Schritt auf dem immer wieder neu zu suchenden Weg 
nach der stets erneut zu stellenden Frage gemacht, wie 
es denn einst hätte sein können. 
Zur Vorgehensweise: Die nochmalige Behandlung der 
Balzner Gemeindegrenzen anhand einer ausführlichen 
Analyse der überlieferten Schriftzeugnisse, einer sich 
darauf stützenden Kommentierung und historischen 
Gewichtung der vorhandenen Quellen mit Abbildung 
und vollständiger Textedition lässt sich nicht auf eini 
gen wenigen Seiten bewerkstelligen, wie sie üblicher 
weise in den Balzner Neujahrsblättern zur Verfügung 
stehen. Deshalb soll die Arbeit auf die kommenden 
Jahrgänge aufgeteilt werden. Eine Fortsetzungsge 
schichte sozusagen, bei der jeweils in der Regel nur eine 
einzige Schriftquelle in der erwähnten Art und Weise 
untersucht werden soll. Ziel dieser Arbeit ist es vor 
erst, die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen 
Quellen also nochmals einer intensiven Befragung zu 
unterziehen und zu hoffentlich neuen Erkenntnissen 
zu gelangen. Der Einbezug der neuzeitlichen Quel 
len dieses bis ins 19. Jahrhundert hinauf dauernden 
Grenzkonflikts in die Untersuchung wäre ein nächster
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.