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und Reptilienarten in Balzers zurück an den Alpenrhein.
Erdkröten und Grasfrösche werden sie zur Laichzeit
aufsuchen. Kleine, flache und periodisch austrocknende
Tümpel ziehen die seltenen Gelbbauchunken an, und
Ringelnattern finden im dynamischen Auwald wieder
ausreichend Verstecke und Nahrung. Im Altarm mit
seinen Totholzstrukturen finden strömungsindifferen
te Arten und Jungfische Lebensraum und Schutz. Das
von den Kraftwerksbetrieben stammende Sunk- und
Schwallregime wird durch die Aufweitung abgemil
dert, wodurch Wasserinsekten und Weichtiere sich
wieder besser vermehren können. Dadurch finden
fische, Vögel, fledermäuse, Spitzmäuse und Amphi
bien wieder mehr Nahrung. Die neuen Lebensräume
auf der Balzner Seite des Rheins verbessern im Zu
sammenhang mit der niveaugleichen Anbindung der
Saar die Bedingungen für die selten gewordenen strö
mungsliebenden fischarten wie Seeforelle, Bachforel
le, Nase, Äsche oder Stromer. Es erschliesst sich ihnen
ein ganzes Gewässernetz mit zahlreichen Laichmög-
lichkeiten. Im dynamischen Uferbereich mit seinen
sanften, flachen Übergängen zum Gewässer, die sich
mit kurzen und steileren Uferabbrüchen abwechseln,
begegnen sich zwei Ökosysteme in einem artenrei
chen Saumbiotop. Auf Kiesinseln und im flussnahen
und von vielen freien Kies- und Sandflächen ge
prägten Auenwaldbereich mit Pionierpflanzen und
Weichhölzern wie Tamarisken, Weiden und Pappeln
finden Llussregenpfeifer Brutplätze. Wildbienen nut
zen die Sandflächen ebenfalls als Brutplatz und be
suchen im Frühjahr als erste die Weidenblüten. Über
dem Altarm nimmt der Eisvogel Ansitz für seine Jagd
auf kleine fische. In der lichten Hartholzaue mit
ihren Erlen, Birken und Eschen stellt sich wieder eine
reiche Fauna und Flora ein. Fledermäuse jagen nachts
über die Wasserflächen und entlang der Gehölze. Der
Buntspecht findet gute flöhlenbäume und genügend
Insekten, um seine Jungen grosszuziehen und auch
der Pirol ist wieder häufiger im Auwald zu hören.
Die Wirkung, die eine Aufweitung des Flussraums auf
die Ökologie entfalten kann, steht in Relation zu ihren
Dimensionen und den davon abhängigen Gestaltungs
möglichkeiten des Flusses. Wir werden die damalige
Wildnis und die volle Gestaltungskraft des Rheins
nicht zurückholen, können aber die Bedingungen für
viele Tier- und Pflanzenarten verbessern.
Abb. 7: Die Saar mit ihrem geometrischen Profil, den hohen
Dämmen sowie dem Verlauf mitten durch den «Restraum» zwi
schen Autobahn und Rhein dominiert eine grosse Fläche nördlich
der Strassenbrücke Balzers-Trübbach. Mit einer bewussten
Neuorganisation dieser Raumkammer würde sich an dieser
Stelle der Blick in eine grosszügige Flusslandschaft öffnen.
In langen Zeiträumen denken - Dynamik
akzeptieren
Projekte wie die Aufweitung des Rheins verlangen,
dass in langen Zeiträumen gedacht wird. Dies gilt für
die Dauer der Realisierung, aber noch stärker für den
Umgang mit den Rahmenbedingungen. Wir sollten
deshalb mit einer Grundhaltung an ein solches Projekt
herangehen, welche die Verhältnisse und Vorausset
zungen berücksichtigt, die zum Zeitpunkt der Umset
zung herrschen könnten. Heute vermeintliche Hür
den bestehen möglicherweise gar nicht mehr, wenn es
dann zur Realisierung kommt. Wir können also getrost
heute unumstösslich erscheinende Rahmenbedingun
gen etwas relativieren. Auch gebaute Anlagen müssen
gelegentlich erneuert oder ersetzt werden. Bestehen
de Infrastrukturen, etwa die Brücken, brauchen eine
Sanierung. Anlagen, die heute scheinbar zwingend in
der Nähe des Flusses liegen, braucht es in 20 Jahren
vielleicht gar nicht mehr. Und für den Betrieb mancher
Anlagen genügt ein Schutz vor dem 50-jährigen Hoch
wasser. Geht man mit einer solchen Grundhaltung an
ein solches Projekt heran, eröffnen sich gedanklich und
real Handlungsspielräume, die sich nicht einstellen,
wenn wir die heutige Situation einfach 20 Jahre in die
Zukunft verlängern.