Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2017) (2017)

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Liechtensteiner Oberlands und des südlichen Wer 
denbergs, der eine bald 150-jährige Kulturgeschich 
te abbildet. Sie legt Zeugnis ab von den zahlreichen 
gesellschaftlichen Raumansprüchen, die in dieser Zeit 
entstanden sind und im Umfeld des Rheins abgedeckt 
wurden. Sie erzählt das Bedürfnis der Menschen nach 
Sicherheit vor den Gefahren des Hochwassers. Sie 
spricht von unserem Flächenbedarf für die gewerb 
lich-industrielle Entwicklung, vom Energiehunger, 
vom Rohstoffbedarf und von unserem Bedürfnis nach 
Mobilität. In dieser Landschaft manifestiert sich auch 
unsere Freude an sportlichen Aktivitäten. 
Der Bau der Hochwuhre bändigte den Rhein und 
machte die Region weitgehend sicher vor den perio 
dischen Überflutungen. Die Dämme waren aber auch 
wichtige Voraussetzung für die weitere Nutzung des 
Talraums. Diese war zunächst auf die Verbesserung 
der Ernährungsbasis ausgerichtet. Mit der Entwick 
lung von der Agrar- zur Dienstleistungsgesellschaft 
wuchs die Zahl der Raumansprüche, und die Spuren, 
die sie in der Landschaft hinterliessen, wurden allmäh 
lich verbindlicher. So entstand nach und nach beidseits 
des Rheins ein Band von Bauten und Anlagen. Die 
ser Vorgang lief allerdings weitgehend unkoordiniert 
ab. Zeitlich nachgeordnete Raumansprüche belegten 
den Raum, den die bereits realisierten Vorhaben noch 
übrig liessen. Diese Entwicklung entfaltete verschie 
dene Wirkungen, von denen die folgenden besonders 
bedeutend sind: 
• Der Fluss als einst wichtigster Landschaftsgestal 
ter ist heute weitgehend stillgelegt. Der Bau der 
Dämme verbesserte nicht nur die Hochwassersi 
cherheit - damit wurden auch die Gestaltungskraft 
und die laufende Bodenerneuerung durch den Fluss 
ausgeschaltet. 
• Die Wuhre unterbrachen die mehrschichtigen Be 
ziehungen des Flusses zu seinem Umland. Dies zeigt 
sich etwa in der Auftrennung des Rheins von den 
einst mit ihm in direkter Verbindung stehenden Ge 
wässern und Wäldern. Die Trennung ist aber auch 
ökologischer Art. Einst zusammenhängende Lebens 
räume und Populationen weisen heute keine Bezie 
hungen mehr auf. Schliesslich wirken sich die Hoch 
wuhre landschaftlich aus, indem sich die Dämme 
und der Blockwurf vor Raumelemente schoben, die 
eigentlich zusammengehören. Strassen, Hochspan 
nungsleitungen sowie die gewerblichen Nutzungen 
verstärken und unterstreichen diesen Effekt. 
• Die im Nahbereich des Rheins angesiedelten Nut 
zungen haben den Flussraum besetzt und frag 
mentiert. Dabei entstandenen «Zwischen- und 
Resträume», die zwar noch gewisse Funktionen aus 
üben - etwa als Schiessplatz oder als Abführbereich 
für das Wasser des Sarganserlands. Aber als Teil der 
Landschaft haben diese Räume wesentlich an Wert 
eingebüsst. Die Gesellschaft hat bisher auch kaum 
Aktivitäten unternommen, um diesen «Zwischen- 
und Resträumen» wieder eine landschaftliche 
Funktion und Raumqualitäten zu geben. 
Neuorganisation des Raums 
Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung 
der jüngsten Raumbedürfnisse [zum Beispiel vielfäl 
tige, siedlungsnahe Erholungsräume, ökologische Auf 
wertungen] gewinnt die Neuorganisation des Raums 
zunehmend an Bedeutung. Sie kann als Strategie be 
zeichnet werden, die verschiedene Resträume zusam 
menführt, aufwertet und mit neuen Funktionen aus 
stattet. Damit sollen in unserem begrenzten und dicht 
genutzten Raum neue Qualitäten geschaffen werden. 
Die bisherigen Eingriffe werden damit nicht beseitigt, 
und der Rhein erlangt deswegen nicht seine ursprüng 
liche Gestaltungskraft. Aber mit der bewussten Raum 
gestaltung vergrössern wir einzelne Räume und holen 
wieder einzelne funktionale Beziehungen zurück. In 
diesem Zusammenhang eröffnet das Entwicklungs 
konzept Alpenrhein die grosse Chance, unseren Tal 
raum in Teilen neu zu organisieren. 
Wie einst mit den Meliorationen Raum für die Land 
wirtschaft gewonnen wurde, könnte eine Umsetzung 
des Entwicklungskonzepts Alpenrhein als Melioration 
verstanden werden, um aus den verstellten, ungestal 
teten und verbauten Resträumen neue Raumkammern 
mit höheren Qualitäten zu gewinnen. Sie dienen nicht 
der Ernährung, sondern geben den Bedürfnissen der 
heutigen und der künftigen Gesellschaften Raum. Sie 
dienen in erster Linie der siedlungsnahen Erholung, 
schaffen Freiräume, bieten Raum für neue Lebensräu 
me und revitalisieren funktionale Beziehungen. 
Eine Gesellschaft, die in der Lage ist, den natürlich be 
grenzten und durch zahlreiche Nutzungen eingeeng 
ten Raum so zu organisieren, dass er ein Höchstmass 
an Funktionalität, Raumnutzen und Raumerlebnis er 
möglicht, ist konstruktiv, innovativ und selbstbewusst.
	        

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