Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2016) (2016)

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Die Gemeinde Balzers stellt sich gegen die 
volle Einbürgerung eines Hintersassen 
Noch im Jahr 1914 wehrte sich die Gemeinde Balzers 
gegen die Gewährung der vollen Bürgerrechte an einen 
ehemaligen Hintersassen. Klar erkennbar sind dabei die 
Auswirkungen der verweigerten Bürger- und Nutzungs 
rechte, was für den betroffenen Bewerber eine Minde 
rung seiner Lebensperspektiven bedeutete. 
Der als Maurer tätige Johann Kindle suchte 1914 
um das volle Bürgerrecht in Balzers an. Ursprünglich 
stammte die Familie Kindle aus Triesen. Vom bereits 
in Balzers lebenden Grossonkel Leonhard Kind 
le hiess es 1839 bei seiner Hochzeit mit Kreszentia 
Frömmelt, dass er ein «vagus» und folglich kein Bür 
ger von Balzers sei. 62 
Dessen Grossneffe Johann Kindle war in Balzers unter 
schwierigen Umständen aufgewachsen. Er hatte be 
reits mit acht Jahren seinen Vater und mit zehn Jah 
ren seine Mutter verloren. Daraufhin wurden er und 
seine vier Geschwister auf verschiedene Familien in 
der Gemeinde Balzers verteilt. Sein Sohn Hans Kindle 
berichtete: «Der Vater war in verschiedenen Familien 
und hatte eine lieblose Jugend. Als er 1903 heiraten 
wollte, sagte der Vorsteher zu ihm, das sei nicht so ein 
fach und unmöglich, es sei noch eine Rechnung von 
1’800 Kronen offen für das Kostgeld vom Ummeässa 
[als Waisenkind auf Gemeindekosten in verschiedenen 
Familien essen]. Die Gemeinde habe das für ihn be 
zahlen müssen, er müsste es nun zurückzahlen, bevor 
er heiraten könne. Der Vater verdiente das nötige Geld 
dann mit Schmuggeln von Kaffee», 63 was es ihm - Jo 
hann Kindle - dann doch ermöglichte, die Balznerin 
Maria Wolfinger [* 1873] zu heiraten. 64 
Als sich 1914 Johann Kindle in Balzers einbürgern las 
sen wollte, entstand zwischen ihm und der Gemeinde 
ein Streit um die Höhe der Einbürgerungstaxe. Ge 
meindevorsteher Emil Wolfinger 65 schrieb der Regie 
rung in Vaduz, die Einkaufstaxe habe ursprünglich 
800 Kronen betragen, doch ginge Johann Kindle «ganz 
schlau zu Werke, indem er sich sagte, diese 800 Kr. 
bezahle ich erst, wenn ich Anwärter auf den auszu- 
theilenden Gemeindeboden bin, das heisst, wenn die 
Verzinsung meiner Einkaufstaxe beginnt. Ob diese 
Speculation acceptabel ist [...] lassen wir vorläufig 
dem hohen Ermessen einer fürstlichen Regierung 
über.» Die Gemeinde erhöhte die Einkaufssumme 
sodann von 800 auf 1'250 Kronen. 66 
Gegenüber den Behörden in Balzers und Vaduz recht 
fertigte sich Johann Kindle wie folgt: «Durch münd 
liche Mitteilung erfuhr ich, dass ich die Summa mit 
der Ziehung des Bodens zu bezahlen hätte.» 67 Kindle 
wurde 1915 wieder bei der Gemeinde Balzers vor 
stellig, «wo man mir sagte, ich soll mittelst [sic] einer 
Liste Unterschriften sammeln unter den Bürgern. 
Tatsächlich machte ich eine Runde mit der genann 
ten Liste und erhielt auf unentgeltliche Aufnahme als 
nutzungsberechtiger Bürger 150 Stimmen.» Johann 
Kindle übergab die Unterschriftenliste dem Vorste 
her. Dieser rief den verstärkten Gemeinderat ein, der 
die Einkaufstaxe für Kindle wieder von 1 ’250 auf 800 
Kronen senkte. Kindle erklärte vor dem Vorsteher 
sein Einverständnis zu dieser Summe. Der Vorsteher 
hintertrieb indes diesen Entscheid. Er liess in der Ge 
meinde abstimmen, und nun votierten 50 Personen 
für die Aufnahme Kindles als vollberechtiger Bürger, 
aber 130 Personen dagegen. 68 
Johann Kindle beschwerte sich nun beim Landge 
richt in Vaduz gegen dieses «uncorrekte Vorgehen» 
der Balzner Gemeindevertretung. Diese hatte zwar 
1914 die Erhöhung der Einkaufstaxe von 800 auf 
1 ’250 Kronen mit der Begründung gerechtfertigt, 
«der Boden sei im Wert sehr gestiegen». Kindle aber 
erklärte sich wie folgt: «Es ist mir als armer Famili 
envater unmöglich, eine solche Summe aufzutreiben, 
denn ich habe auch noch für 8 Kinder wovon das äl 
teste 12 und das jüngste 1 Jahr alt ist, zu sorgen. [Es] 
wäre also jetzt Entgegen Kommen nöthig, gar in so 
schweren Zeiten.» 69 
Es ist anzunehmen, dass die Gemeinde Balzers Johann 
Kindle die Nutzungsrechte am Gemeindeboden wei 
terhin verweigerte, zumal dieser auch die hohe Ein 
kaufstaxe nicht bezahlen konnte. So wurde Johann 
Kindle 1914 als Aushilfskraft für die Grenzwache an 
gestellt. Von 1917 bis 1923 war Kindle dann vollamt - 
licher Grenzwächter im liechtensteinischen Tal- und 
Berggebiet. 1920 erhielt Kindle einen Reisepass zur 
Auswanderung nach Argentinien, doch er verwirk 
lichte diesen Plan nicht. Die Familie Kindle lebte in 
Balzers unter ärmlichen Bedingungen. Der bereits er 
wähnte Sohn Hans Kindle war 1929 bis 1930 Vieh 
hirt auf einer Maienfelder Alp, 1931 schickte ihn der 
Vater zur Arbeit als Bauarbeiter in den Kanton Zug. 
Hans Kindle wollte schliesslich 1936 einen eigenen Bau 
ernhof ausserhalb des Dorfes bauen. Der Balzner Vorste 
her Georg Vogt antwortete auf diesen Wunsch, «er könne
	        

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