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Die Gemeinde Balzers stellt sich gegen die
volle Einbürgerung eines Hintersassen
Noch im Jahr 1914 wehrte sich die Gemeinde Balzers
gegen die Gewährung der vollen Bürgerrechte an einen
ehemaligen Hintersassen. Klar erkennbar sind dabei die
Auswirkungen der verweigerten Bürger- und Nutzungs
rechte, was für den betroffenen Bewerber eine Minde
rung seiner Lebensperspektiven bedeutete.
Der als Maurer tätige Johann Kindle suchte 1914
um das volle Bürgerrecht in Balzers an. Ursprünglich
stammte die Familie Kindle aus Triesen. Vom bereits
in Balzers lebenden Grossonkel Leonhard Kind
le hiess es 1839 bei seiner Hochzeit mit Kreszentia
Frömmelt, dass er ein «vagus» und folglich kein Bür
ger von Balzers sei. 62
Dessen Grossneffe Johann Kindle war in Balzers unter
schwierigen Umständen aufgewachsen. Er hatte be
reits mit acht Jahren seinen Vater und mit zehn Jah
ren seine Mutter verloren. Daraufhin wurden er und
seine vier Geschwister auf verschiedene Familien in
der Gemeinde Balzers verteilt. Sein Sohn Hans Kindle
berichtete: «Der Vater war in verschiedenen Familien
und hatte eine lieblose Jugend. Als er 1903 heiraten
wollte, sagte der Vorsteher zu ihm, das sei nicht so ein
fach und unmöglich, es sei noch eine Rechnung von
1’800 Kronen offen für das Kostgeld vom Ummeässa
[als Waisenkind auf Gemeindekosten in verschiedenen
Familien essen]. Die Gemeinde habe das für ihn be
zahlen müssen, er müsste es nun zurückzahlen, bevor
er heiraten könne. Der Vater verdiente das nötige Geld
dann mit Schmuggeln von Kaffee», 63 was es ihm - Jo
hann Kindle - dann doch ermöglichte, die Balznerin
Maria Wolfinger [* 1873] zu heiraten. 64
Als sich 1914 Johann Kindle in Balzers einbürgern las
sen wollte, entstand zwischen ihm und der Gemeinde
ein Streit um die Höhe der Einbürgerungstaxe. Ge
meindevorsteher Emil Wolfinger 65 schrieb der Regie
rung in Vaduz, die Einkaufstaxe habe ursprünglich
800 Kronen betragen, doch ginge Johann Kindle «ganz
schlau zu Werke, indem er sich sagte, diese 800 Kr.
bezahle ich erst, wenn ich Anwärter auf den auszu-
theilenden Gemeindeboden bin, das heisst, wenn die
Verzinsung meiner Einkaufstaxe beginnt. Ob diese
Speculation acceptabel ist [...] lassen wir vorläufig
dem hohen Ermessen einer fürstlichen Regierung
über.» Die Gemeinde erhöhte die Einkaufssumme
sodann von 800 auf 1'250 Kronen. 66
Gegenüber den Behörden in Balzers und Vaduz recht
fertigte sich Johann Kindle wie folgt: «Durch münd
liche Mitteilung erfuhr ich, dass ich die Summa mit
der Ziehung des Bodens zu bezahlen hätte.» 67 Kindle
wurde 1915 wieder bei der Gemeinde Balzers vor
stellig, «wo man mir sagte, ich soll mittelst [sic] einer
Liste Unterschriften sammeln unter den Bürgern.
Tatsächlich machte ich eine Runde mit der genann
ten Liste und erhielt auf unentgeltliche Aufnahme als
nutzungsberechtiger Bürger 150 Stimmen.» Johann
Kindle übergab die Unterschriftenliste dem Vorste
her. Dieser rief den verstärkten Gemeinderat ein, der
die Einkaufstaxe für Kindle wieder von 1 ’250 auf 800
Kronen senkte. Kindle erklärte vor dem Vorsteher
sein Einverständnis zu dieser Summe. Der Vorsteher
hintertrieb indes diesen Entscheid. Er liess in der Ge
meinde abstimmen, und nun votierten 50 Personen
für die Aufnahme Kindles als vollberechtiger Bürger,
aber 130 Personen dagegen. 68
Johann Kindle beschwerte sich nun beim Landge
richt in Vaduz gegen dieses «uncorrekte Vorgehen»
der Balzner Gemeindevertretung. Diese hatte zwar
1914 die Erhöhung der Einkaufstaxe von 800 auf
1 ’250 Kronen mit der Begründung gerechtfertigt,
«der Boden sei im Wert sehr gestiegen». Kindle aber
erklärte sich wie folgt: «Es ist mir als armer Famili
envater unmöglich, eine solche Summe aufzutreiben,
denn ich habe auch noch für 8 Kinder wovon das äl
teste 12 und das jüngste 1 Jahr alt ist, zu sorgen. [Es]
wäre also jetzt Entgegen Kommen nöthig, gar in so
schweren Zeiten.» 69
Es ist anzunehmen, dass die Gemeinde Balzers Johann
Kindle die Nutzungsrechte am Gemeindeboden wei
terhin verweigerte, zumal dieser auch die hohe Ein
kaufstaxe nicht bezahlen konnte. So wurde Johann
Kindle 1914 als Aushilfskraft für die Grenzwache an
gestellt. Von 1917 bis 1923 war Kindle dann vollamt -
licher Grenzwächter im liechtensteinischen Tal- und
Berggebiet. 1920 erhielt Kindle einen Reisepass zur
Auswanderung nach Argentinien, doch er verwirk
lichte diesen Plan nicht. Die Familie Kindle lebte in
Balzers unter ärmlichen Bedingungen. Der bereits er
wähnte Sohn Hans Kindle war 1929 bis 1930 Vieh
hirt auf einer Maienfelder Alp, 1931 schickte ihn der
Vater zur Arbeit als Bauarbeiter in den Kanton Zug.
Hans Kindle wollte schliesslich 1936 einen eigenen Bau
ernhof ausserhalb des Dorfes bauen. Der Balzner Vorste
her Georg Vogt antwortete auf diesen Wunsch, «er könne