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dem König beziehungsweise zum königlichen Lehen.
An welche der beiden Kirchen der Zehnt ging, ist aus
dem Text nicht ersichtlich. Wichtiger ist die Erkenntnis,
dass das Zehntwesen im 9. Jahrhundert bereits ausge
bildet war; die genauen Zehntpflichten lassen sich aber
nicht mehr rekonstruieren. Es ist davon auszugehen,
dass auch freie Bauern, die in keiner oder einer losen
Bindung zum königlichen fJof standen [z. B. über die
Gerichtszuständigkeit], den Zehnt an die Kirche ab-
liefern mussten. Der Zehnt gehörte dem Besitzer der
Kirche, also dem Lehensträger, der umgekehrt auch
Verpflichtungen gegenüber der Kirche hatte.
Einzugehen ist schliesslich auf die Namen der genann
ten Personen. Auffallend ist, dass beide königlichen
Lehensträger deutsche Namen hatten, was darauf hin
weist, dass sie Alemannen waren oder dass sie zumin
dest deutsche Namen angenommen hatten. Auch die
Empfänger der Huben hatten mehrheitlich deutsche
Namen. Sprachgeschichtlich ist für das Frühmittelalter
von einer Zweisprachigkeit auszugehen; erst um 1300
verlagerte sich die deutsche Sprachgrenze bis an die
Luziensteig. Die deutsche und romanische Kultur leb
ten nebeneinander, vermischten sich aber zusehends.
Oskar Baldauf kam aufgrund einer Analyse der Perso
nennamen im Churrätischen Urbar zum Schluss, dass
zum Zeitpunkt der Abfassung des Urbars im Ministe
rium in Planis ein gutes Drittel der Bevölkerung deutsch
und knapp zwei Drittel romanisch waren. 6 Allerdings
ist auch diese Berechnung mit Vorsicht zur Kenntnis
zu nehmen.
Ebenfalls mit Vorbehalten aufzunehmen ist eine These
von Benedikt Bilgeri zu den sozialen Umwälzungen
in diesen Jahren. Er hat beobachtet, dass der Verfasser
des Urbars unterschiedliche Zeitformen verwendet. Bei
Palduin, Adamar und Vuolfprecht benutzte er die Ver
gangenheitsform [«Dies war das Lehen...»], in anderen
Fällen die Gegenwartsform. Bilgeri erklärt dies damit,
dass der an die Macht gekommene König Ludwig [der
Deutsche], der sich mit kriegerischen Mitteln gegen
seinen Bruder Kaiser Lothar durchgesetzt hatte, mit
harter Hand regiert habe und viele Würdenträger ge
stürzt und enteignet beziehungsweise durch eigene
Anhänger ersetzt habe. Demnach wären Palduin und
Adamar Anhänger von Kaiser Lothar und des Bischofs
von Chur gewesen und hatten deshalb ihr Lehen
verloren. 7
Und nun zur Streitfrage
Anlass für diesen Beitrag war der Gemeindeartikel
Balzers im «Historischen Lexikon für das Fürstentum
Liechtenstein». Dort kam es zwischen dem Verfasser
des Artikels [also mir] und Mitgliedern des Beirats
zu einer Diskussion, ob es sich bei Meilis im Chur
rätischen Reichsurbar um Mäls [FL] oder Meis [SG]
handelt.
Mit Palazoles ist unbestritten Balzers gemeint. Der
Name wird sprachgeschichtlich vom lateinischen pala-
tiolum abgeleitet, was mit «kleine Pfalz» oder «kleiner
Königshof» übersetzt wird. Hans Stricker schlägt auch
die Variante palatiola vor, was mit «kleiner Herrensitz,
Zwischenstation» übersetzt werden kann. Diese Va
riante wäre dann möglicherweise wieder ein Indiz da
für, dass mit Magia auf der Peutingerschen Karte Bal
zers gemeint sein könnte. 8
Bei Meilis ist die Namenforschung zum Ergebnis ge
kommen, dass der Name vorrömischen Ursprungs ist
und sich nicht sicher deuten lässt. Welche Ortschaft
meint Meilis im Churrätischen Reichsurbar?
Schauen wir uns zuerst die Argumentation in der liech
tensteinischen Literatur, vor allem im «Liechtensteini
schen Urkundenbuch», an. Franz Perret, der Bearbeiter
der Bände 1 und 2, argumentierte, dass das Churrä-
tische Reichsurbar einer bestimmten Reiseroute [Iti
nerar] folgte. Dahinter steckt die Vermutung, dass die
Aufzeichnungen durch einen königlichen Beamten
oder Boten erfolgten, der die verschiedenen Orte be
reiste. Die Reihenfolge der erwähnten Ortschaften im
Urbar ist nicht zufällig: Von Schaan ging die Reise über
den Rhein nach Rähs, dann folgten Grabs, Buchs und
Oberschan, darauf Flums, Sargans, Vilters, Maienfeld
und schliesslich Balzers und Meilis. Daraus schloss
Perret: «Es kann sich hier [bei Meilis] also nur um Mäls,
nicht aber um Meis handeln. Das Urbar bricht leider
gerade nachher ab, sodass wir den Rest des Ministerium
in Planis nicht mehr haben.» 9 Auch die liechtensteini
sche Flurnamenforschung hat keinerlei Zweifel ange
meldet, dass es sich bei Meilis um Mäls [FL] handelt. 10
Umgekehrt das «Bündner Urkundenbuch»: Für dieses
steht fest - wie das schon Aegidius Tschudi in einer
Randanmerkung vertreten hat -, dass es sich bei Meilis
um Meis [SG] handelt. 11 Dieser Auffassung war auch
der Beirat des Historischen Lexikons für das Fürsten
tum Liechtenstein. Argumentiert wurde vor allem
damit, es sei undenkbar, dass es im Siedlungsbereich