Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2013) (2013)

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«Buab, wann d ned folgescht, duat ma di is Schwoobaland» 
Saisonale Kinderwanderung aus Liechtenstein nach Oberschwaben 
Georg Burgmeier 
Die wirtschaftliche Lage Liechtensteins 
im 18. und 19. Jahrhundert 
Liechtenstein gehörte bis ins 20. Jahrhun 
dert zu den ärmsten Ländern Mitteleuropas. 
Die meisten Einwohner waren Selbstver 
sorger und lebten vom Ackerbau und von 
der Viehwirtschaft. 1 Die intensiv genutzten 
Flächen waren verhältnismässig klein und 
immer wieder von Rheinüberschwemmun 
gen oder Rüfeniedergängen bedroht. Dem 
gegenüber stand eine stetig wachsende Bevöl 
kerung, der besonders in Missjahren - so etwa 
1817 und 1846/47 - Hungersnöte drohten. 
Ende des 18. Jahrhunderts belegt. 3 Der erste 
amtliche Hinweis für Bündner Schwaben 
gänger findet sich 1801, 4 für saisonale Aus 
wanderungen von liechtensteinischen Kin 
dern und Jugendlichen nach Schwaben um 
1815: «Selbst viele erwachsene, und junge 
zu Hause entbehrliche Leute, und Kinder, 
die kein Handwerk kennen, wandern im 
Frühjahre nach Schwaben, trachten dort 
als Knechte, Hirten, oder Taglöhner unter 
zukommen, und sich ... nebst der Kost den 
Sommer hindurch bald einen grösseren, 
bald einen geringeren haaren Verdienst zu 
erwerben.» 5 
Seite 44: Ein Beispiel 
von Realteilung im 
Liechtensteiner 
Unterland: Acker 
flächen - «Familien 
teile», «Hausteile», 
«Rietteile» und 
«Böscha» - zwischen 
Nendeln, Eschen 
und Mauren. 1. Hälfte 
20. Jahrhundert. 
Ein entscheidender Grund für die hohe Ar 
mut lag für Hofrat Georg Hauer in erster 
Linie in der erbbedingten Zerstückelung 
der ohnehin schon bescheidenen Ackerflä 
chen: «... jeder ist nur Bauer, das väterliche 
Gut wird unter die Kinder ohne amtlichen 
Einfluss in gleiche Teile getheilt und so un 
gereimt, dass ein besseres Stück, wenn es 
auch noch so gering ist, so viele Abtheilungen 
erhält, als Erben vorhanden - so auch die 
Gütter von mitterer und der schlechtesten 
Eigenschah, daher einzelne Besitzungen sich 
auch nur auf Quadratklafter beschränken.» 2 
Die wirtschaftliche Not zwang viele Liech 
tensteiner, regelmässig das Land zu ver 
lassen und im Ausland, besonders in der 
Schweiz und in Süddeutschland, ihr Brot 
zu verdienen. Neben Erwachsenen zogen seit 
dem 18. Jahrhundert immer wieder auch 
schulpflichtige Kinder aus Liechtenstein 
nach Oberschwaben, um sich während der 
Sommerzeit bei einem Bauern zu verdingen. 
Der Beginn der Schwabengängerei 
Saisonale Kinderwanderungen aus Vorarl 
berg und Tirol nach Oberschwaben sind be 
reits zu Beginn des 17. beziehungsweise am 
Behördenstrenge gegen Untertanentrotz 
Zwar galt in Liechtenstein seit 1805 die all 
gemeine Schulpflicht, doch weigerte sich 
die vorwiegend bäuerliche Bevölkerung 
über Jahrzehnte hinweg erfolgreich, ihre 
Kinder regelmässig zur Schule zu schicken. 
Schliesslich benötigte man während der 
Saat- und Erntezeit jede Art von Hilfe. 
Allmählich häuften sich die Klagen über 
die starke Vernachlässigung der Sommer 
schule, insbesondere als im 19. Jahrhundert 
viele Kinder im Sommer nach Schwaben 
auswanderten, um dort bei der Ernte zu 
helfen und so ihren Unterhalt zu verdienen. 6 
Das Oberamt versuchte mit Verordnungen 
sowie Erlassen, den regelmässigen Schul 
besuch durchzusetzen. Doch Ortsvorsteher 
und Ortsgeistliche, welche die sozialen 
Verhältnisse der Antragsteller aus eigener 
Anschauung kannten, entschieden in den 
meisten Fällen pragmatisch: War die Not in 
einer Familie zu gross, stellten sie trotz ob 
rigkeitlichem Verbot die vorgeschriebenen 
Schulbesuchsdispensen aus und stimmten 
damit einer temporären Abwanderung ins 
Schwabenland zu. Auch fürstliche Verord 
nungen, beispielsweise diejenige von Fürst 
1 Vgl. Burgmeier, S. 43. 
2 Vogt, Lokalisierungs- 
Bericht von Hofrat 
Georg Hauer, S. 83. 
3 Uhlig, S. 21.- 
Joseph Rohrer: 
Uiber die Tiroler. 
Ein Beytrag zur 
Oesterreichischen 
Völkerkunde. Wien 
1796, S. 49f., zit. nach 
Seglias, S. 17. 
4 Seglias, S. 17f. 
5 Ospelt, S. 241. 
6 Vgl. Quaderer, S. 143.
	        

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