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Gutenberg und das Reichsstift Lindau
im 16. Jahrhundert
Karl Heinz Burmeister
Die Vögte zu Gutenberg
Ab dem Jahr 1470 übte die Adelsfamilie von
Ramschwag für fast drei Jahrhunderte die
sogenannte Burghut - den Wachtdienst - auf
dem habsburgischen Schloss Gutenberg in
Balzers aus. Als Vögte traten nachfolgend
angeführte Personen dieser Adelsfamilie her
vor: Ulrich von Ramschwag ( 1470—1518) 1 ,
Balthasar von Ramschwag (1518-1566) 2 ,
Georg Balthasar von Ramschwag (1566—
1578) sowie Johann Kaspar von Ramschwag
(1578—1617) 3 . Später folgten noch Johann
Ulrich von Ramschwag (bis 1628, f 1659) 4
sowie dessen Söhne Johann Donat von
Ramschwag (“1612) und Franz Ulrich von
Ramschwag (fl671 5 , in Balzers begraben),
unter dem 1650 ein Schloss-Inventar ange
legt wurde. 6 Zuletzt war Franz Ferdinand
von Ramschwag ( 1680—1716) 7 Pfandherr der
Burg Gutenberg.
Nicht in dieser obigen Gutenberger Vogt
liste enthalten sind zwei weitere Personen,
die gleichfalls zur Familie gehörten: erstens
Hektor I. von Ramschwag, österreichischer
Vogt der Herrschaften Bludenz und Son
nenberg, ein Bruder der Vögte Georg
Balthasar und Johann Kaspar; zweitens
dessen Sohn Hektor II. von Ramschwag,
Hofmeister des Reichsstiftes Buchau in
Oberschwaben.
Das Reichsstift Lindau
Das im 9. Jahrhundert gegründete Reichs
stift Lindau war seit 1466 ein freiweltliches
adeliges Damenstift. Die hier eintretenden
Frauen aus dem schwäbischen Adel lebten
wie in einer klösterlichen Gemeinschaft
nach der Augustinerregel zusammen. Sie
hielten täglich den Gottesdienst, verrichte
ten den Chorgesang und das Chorgebet,
hatten der Äbtissin gehorsam zu sein und
waren, solange sie im Stift lebten, zur
Keuschheit verpflichtet. Im Unterschied zu
anderen Frauenklöstern stand es ihnen
aber frei, jederzeit in das weltliche Leben
zurückzukehren und zu heiraten 3 , wovon
die Lindauer Chorfrauen überwiegend
auch Gebrauch machten. Ein für das ganze
Leben verpflichtendes Keuschheitsgelübde
gab es in Lindau nicht.
Sinn und Zweck dieser Einrichtung, die
dem Adel Vorbehalten war, ist darin zu
sehen, dass die adeligen Familien ihre
Töchter nicht nur versorgt wissen wollten;
vielmehr sollten ihnen im Kloster Bildung,
Wissen und Fähigkeiten vermittelt werden,
die sie zu begehrten Heiratskandidatinnen
heranreifen Hessen.
Die Leitung des Stiftes lag in den Händen
einer Äbtissin, die den mit vielen Privile
gien verbundenen Status einer Reichsfürs
tin hatte. Es ist bekannt, dass im Mittelalter
mehrere Äbtissinnen aus dem heutigen
Fürstentum Liechtenstein dem Damenstift
in Lindau vorgestanden sind: von 1291 bis
1336 Guta von Schellenberg, von 1336 bis
1356 Sigena von Schellenberg 9 sowie von
1356 bis 1364 Katharina von Triesen 10 . Über
viele Jahrzehnte hinweg lag das Schicksal
des Lindauer Stiftes in den Händen von
Frauen aus Liechtenstein.
Die Konservatoren
Das Reichsstift hatte ursprünglich eine
beherrschende Stellung in Lindau. Seit
dem 13. Jahrhundert hatte sich aber die
Bürgerschaft von Lindau aus der Vorherr
schaft des Klosters emanzipiert und den
Status einer Reichsstadt erlangt. Seither
standen sich Reichsstift und Reichsstadt im
politischen Alltag als Gegner gegenüber.
Der gesellschaftliche Gegensatz zwischen
Adel und Bürgertum verstärkte diesen
Konflikt.
1 Siegel bei Walther P.
Liesching und Paul
Vogt: Die Siegel in den
Archiven des Fürsten
tums Liechtenstein bis
zum Jahr 1700.
In: Jahrbuch des His
torischen Vereins für
das Fürstentum Liech
tenstein (im Folgen
den: JBL) 85 (1985),
Nr. 76.
2 Lieschung/Vogt (wie
Anm. 1), Nr. 77; Bal
thasar ist nicht der
Sohn Ulrichs, sondern
ein Enkel.
3 Ebenda, Nr. 79.
4 Ebenda, Nr. 80.
5 Franz Büchel: Beiträge
zur Geschichte
842-1942 [der] Ge
meinde Balzers.
Balzers 1987, S. 65.
6 Abgedruckt bei Büchel
(wie Anm. 5), S. 61-64.
7 Büchel (wie Anm. 5),
S. 65.
8 Ferdinand Eckert:
Vom Kampf des
Lindauer Damenstiftes
um seine «FreiWelt
lichkeit» im 16. und
17. Jahrhundert. In:
Bodensee-Heimat-
Schau 1931, S. 55.
9 Zu diesen beiden Äb
tissinnen vgl. Rolf
Schmitt: Die Herren
von Schellenberg. Ein
süddeutsches Adels
geschlecht zwischen
Bayern und Schwaben.
Diss. phil. Innsbruck
1992, passim.
10 Zu ihr vgl. Toni Ban-
zer: Im Weinberg des
Herrn. In: Bilder aus
der Pfarrei Triesen.
Triesen 1994, S. 53-80,
hier S. 58.