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Ums Gängle
Ein schmaler Weg führte in Richtung der
heutigen Schreinerei Anton Vogt. Linker
Hand, im Anschluss an unseren Stall,
befand sich ein Dreifachwohnhaus mit dem
Teil von Heinrich Vogt («Wagner Heinere»),
dem Teil von Elisabeth Vogt («sNotta
Lisele») und dem Teil von Nina Nigg auf
der östlichen Seite (14). Von dort gab es
einen schmalen Fussweg, das Gängle,
gesäumt von Lebhägen, ins Höffe (15).
Dieses erreichte man, indem man einem
Stall entlang in Richtung Brunnen beim
«Liechtensteinerhof» ging. In östlicher
Richtung fand dieser Fussweg seine Fort
setzung in einer Brücke über den Kanal
zum Wohnhaus von Eugen Nutt (16).
Eugen Nutt war Malermeister und hat im
Vorbeigehen oft unsere Aufmerksamkeit
gefunden, weil er die Namen auf die neuen
Grabkreuze malte und vor allem auch des
halb, weil er ein Auto hatte, einen majestä
tischen schwarzen Amerikanerwagen, mit
dem er an Hochzeiten die Brautpaare fuhr
und Taxidienste ausführte.
Hans und Flora
Wieder Richtung Winkel war das Anwesen
von Georg Frick («Karl Jörg») für mich von
grossem Interesse, weil dieser nicht nur Vieh
hielt, sondern auch eine Fuhrhalterei be
trieb (17). Er hatte zwei Pferde, mit denen er
für andere landwirtschaftliche Güter trans
portierte, pflügte und säte. Die beiden
Pferde sind mir in besonderer Erinnerung,
vor allem das eine. Ich habe da wohl die
erste Neurose meines Lebens eingefangen.
Die Pferde Messen Flora und Hans. Hans
war ein stattliches Tier, und ich war stolz auf
meinen Namensvetter. Aber erst nachdem
ich festgestellt hatte, dass es auch andere
Buben mit dem Namen Hans gab, war ich so
richtig zufrieden, denn ich hatte mich doch
einige Male gefragt, warum ich nach einem
Pferd, wenn auch nach einem grossen und
starken, getauft worden war.
Bäcker, Küfer, Drösche
Richtung Zwischenbäch befand sich über
dem Kanal die Bäckerei Heinrich Frick (18).
Es gab ein kleines Ladenlokal, wo sich die
Kunden zu bestimmten Tageszeiten stau
ten. Ich weiss noch, dass es am Donnerstag
Roggenbrot gab und man hin und wieder
dort «Agis» kaufte, das man in ganz kleinen
Bechern bei der Arbeit auf dem Kartoffel
feld ausschenkte. Neben der Bäckerei Frick
befanden sich die Küferei Edmund Frick
(19) und die von Rudi Brunhart in den
Sommerwochen betriebene «Drösche»
(20) . Nicht aus meiner Zeit im Winkel, aber
wohl aus späteren Jahren erinnere ich
mich, dass die «Drösche» während einiger
Tage im Sommer mehr oder weniger rund
um die Uhr lief und sich die mit Korn bela
denen Wagen bis in den Winkel hinein stau
ten. Wir hatten immer ein Feld mit Weizen,
sodass man jedes Jahr auch an dieser
Drescherei teilnehmen konnte. Und das
Schönste war, wenn wir das Glück hatten,
dass unser Wagen erst um Mitternacht an
die Reihe kam.
Eine Welt im Kleinen
Wie ich mich erinnere, gab es im engsten
Bereich des Winkels nur ein Telefon und
zwei Autos, wovon eines - wie erwähnt - im
Dorfteil Plattenbach. Autos auf den Stras
sen waren eine Seltenheit. Bis in die Vierzi
gerjahre bestand im Winkel ein Autofahr
verbot. Pfarrer Waser war in diesem Sinne
mit seinem, wenn ich mich recht entsinne,
grünen Morris schon aufsehenerregend.
Daneben sah man nur Autos von Vertretern,
die zu uns in den Laden kamen oder in die
Bäckereien Frick und Heim, oder Lieferan
ten und den «Frächter» Scholz, die Waren
abluden oder abholten. Ansonsten domi
nierte der Transport durch Pferde.
Der Winkel zeichnete sich wie andere Quar
tiere der Gemeinde in der Zeit um 1950
dadurch aus, dass praktisch in jedem Haus
ein Gewerbe oder eine kleine Landwirt
schaft betrieben wurde. Das führte neben
der grossen Kinderschar, die das Quartier
belebte, dazu, dass ständig etwas in Bewe
gung war und man sich oft auf der Strasse
traf: die Bauern beim Tränken des Viehs, die
Frauen beim Aufhängen der Wäsche oder
beim täglichen Einkauf. Der Winkel war in
diesem Sinne eine Welt im Kleinen. In mei
ner Erinnerung eine kleine, schöne Welt.