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dem Schnaps zu versorgen. Am frühen
Nachmittag ging mein Vater wieder tal
wärts, wo er diese Woche noch einen Auf
trag zu Ende führen musste.
Diesen Abend konnte ich nicht sofort ein-
schlafen, machte noch Rückblick auf die
vergangenen drei Tage und stellte dabei
fest, dass es hier auf der Alp gar nicht so
übel sei, wonach ich dann bald einschlief.
Donnerstagmorgen wurde ich von David
aus dem Schlaf gerüttelt. Es war noch dun
kel, ich hörte unseren neuen Mitarbeiter
Tonetti unten im Stall rumoren. David flüs
terte mir ins Ohr, unserem Kollegen sei der
Treibstoff ausgegangen und er warte drin
gend auf mich. Noch in den Unterhosen lief
ich über die Leiter in den Stall, um ihm sei
nen Deziliter Checcha, wie er es nannte, zu
reichen...
Um sechs Uhr, als auch David und Heinrich
ihre Arbeit begannen, gesellte ich mich zu
unserem neuen Mitarbeiter Tonetti. Meine
Aufgabe bestand darin, mit einem leichten
Bohrschlegel auf eine Eisenstange zu schla
gen, die er fachgerecht führte, wobei ich
stets Angst hatte, ihm auf die Hände zu
schlagen. Nach 30 cm Lochtiefe durfte ich
ausruhen. Nachher benutzte er eine ca. 3 m
lange Bohrstange, mit welcher er das
Bohrloch auf die nötige Tiefe bohrte. Dabei
erklärte er mir, wie wichtig es sei, die Bohr
stange, je nach Art des Gesteins, genau
richtig zu drehen, was die Bohrleistung
ganz erheblich beeinflusse.
Zum Frühstück wünschte er sich schwar
zen Kaffee mit einem kleinen Gläsli Güggs,
worin er sein Brot tauchte, bis es schön
schwarz und weich war. Als Zugabe wollte
er Alpkäse oder frisch geschnittene Wurst,
während wir Jungen uns mit Butterbrot
und Konfitüre bedienten.
Nach dem Frühstück war es wieder meine
Aufgabe, dem alten «Strategen» zu helfen.
Wir machten zusammen eine Anzahl
Löcher auf ca. 30 cm Tiefe, die er dann auf
die Fertigtiefe von bis zu 2 Metern alleine
bohrte. So blieb mir Zeit, das Mittagessen
bereitzustellen, während er alleine beschäf
tigt war. Vorher veranlasste er mich aber
noch, die Lochtiefen von David und Hein
rich mit der unsrigen zu vergleichen, wobei
ich feststellte, dass er mehr als die doppelte
Bohrlochtiefe als die anderen geleistet
hatte, was ich ihm aber nicht mitteilte.
Auch am Nachmittag war meine Arbeit mit
Tonetti wieder wie vorher, wobei ich mehr
mals versuchte, mit seiner Bohrstange alleine
zu bohren; dabei erbrachte er während
einer Viertelstunde mindestens das Zwan
zigfache meiner Leistung. Trotzdem rühmte
er mich als Zuschläger, da er offenbar über
rascht war, dass er noch keinen Schlag auf
seine Hände gekriegt hatte. Ich war froh,
als ich am frühen Nachmittag auf die
Klosteralp konnte, um Milch zu holen, ob
schon diese Milch beim Aufstieg jeweils
ziemlich warm wurde vom Schweiss, der
mir über meinen Rücken lief.
Beim Aufstieg von der Klosteralp holte ich
ein Mädchen ein, das bis hier mit unserem
Fuhrmann gekommen war, dann aber aus
ruhen wollte. Sie wollte nach Tüls-Ober-
säss, wo sie ihren Vater suchte, dem sie die
Medizin brachte. Als ich mich ihr dann vor
stellte, war sie sichtlich erfreut und gestand
mir, dass sie eine Tochter des Tonetti mit
Namen Ottilia sei... Eigentlich hatte ich
Hemmungen in Begleitung eines Mäd
chens, die mir als Dame vorkam, trotzdem
verlangsamte ich meinen Schritt, um mich
so ihrem Tempo anzupassen. Im Obersäss
angekommen, kriegte diese Ottilia sofort
zehn Küsse auf jede Seite von ihrem Vater,
der nicht aufhören konnte, seine Kinder zu
rühmen.
[Inzwischen war es dunkel geworden.
Trotzdem wollte Ottilia den ihr unbekann
ten Rückweg antreten. Bei der folgenden
Auseinandersetzung zeigte sich das heiss-
blütige Temperament Tonettis, indem die
ser unter allen Umständen zu verhindern
versuchte, dass seine Tochter allein den
gefährlichen Weg ins Tal nahm. Dem 11-
jährigen Josef Azzola gelang es, den auf
brausenden Tonetti zu beruhigen, und so
wurde beschlossen, dass das Mädchen die
Nacht auf der Alp verbringen sollte.]
Der alte Kracher schickte sich an, sein
Lager im Stall zu verbreitern, während
Ottilia sich bei mir höflich bedankte. Als
ich ihr dann aus unserer Reserve im Neben