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Die Regulierung der Landesgrenze zu Graubünden
Paul Vogt
Die Entstehung der Landes- und Gemeinde
grenzen in Balzers wurde, soweit dies den
«Verlust des Ellhorns 1948» 1 und die Grenze
zu Wartau 2 betrifft, in den «Balzner Neujahrs-
blätlern» bereits abgehandelt. In diesem Bei
trag soll nun die Grenzbildung gegenüber
Fläsch und Maienfeld beziehungsweise Grau
bünden dargestellt werden.
Das Thema Grenzkonflikte ist nicht nur po
litisch, sondern auch kulturgeschichtlich
spannend. Grenzverletzungen («Grenzfre
vel») waren im Volksglauben etwas vom
Verwerflichsten und brachten Unglück. Sie
wurden ausserdem von der weltlichen Ob
rigkeit schwer bestraft.
Die Grenzurkunden der Gemeinden wurden
seit dem Mittelalter besonders sorgfältig
aufbewahrt. Als beim Dorfbrand von 1795
die Balzner Originalurkunden auf Perga
ment zerstört wurden, konnte glücklicher
weise ein Band mit Abschriften aus dem
Jahr 1780 gerettet werden. Lehrer Johann
Baptist Vogt, der die Urkunden 1841 ein
zweites Mal in einem Band abschrieb, hielt
dazu in übertrieben pathetischerWeise fest:
«Nur das erwähnte Repertorium wurde
durch die Geistesgegenwart eines Mannes
den Flammen entrissen und war von dortan
die einzige Waffe, womit wir die Angriffe
unserer Nachbarn zu bekämpfen hatten.» 3
In dieser Bemerkung werden die Emotionen,
die mit der Grenzfrage verbunden waren,
deutlich. Ob uns die Bündner Nachbarn
aber tatsächlich angriffen, soll - unter ande
rem - im folgenden Beitrag geklärt werden.
Die Welt der Sagen
Bevor ich auf die historisch belegbaren Fak
ten eingehe, möchte ich einen Blick in die
Welt der Sagen werfen. Diese sind für das
Verständnis der Grenzkonflikte aufschluss-
reich. Es ist sicher kein ZLifall, dass sich vier
mehr oder weniger bekannte Sagen mit
Grenzfestlegungen beim St. Katrinabrunna
in Balzers befassen. Da diese Sagen über die
Wertvorstellungen in Bezug auf das Ver
setzen von Marksteinen Auskunft geben,
möchte ich mit diesen beginnen.
Grenzfrevler finden keine ewige Ruhe
Otto Seger erzählt: «Zwei Burschen aus
Balzers kehrten von einem Feste auf der
Luziensteig heim. Da sahen sie nahe der
Landstrasse zwei Männer, die sie nicht er
kennen konnten, um die Grenze zweier
Grundstücke streiten. Die Balzner dachten:
Eigentlich sollte man ihnen helfen können.
Aber sie gingen doch weiter. Kaum waren
sie daheim, da klopfte es an den Fensterla
den. Es war, wie sie geahnt hatten: Die un
heimlichen Fremden standen draussen und
fragten unfreundlich; <Was habt ihr ge
dacht, als ihr bei uns vorbeigelaufen seid?>
Die Burschen antworteten: <Man sollte euch
helfen können, ist unser Gedanke gewesene
Mit zorniger Stimme befahlen jetzt die
nächtlichen Gäste: (Kommt sogleich mit uns
zum Katharinabrunnen, dort, wo ihr uns ge
troffen habt! Folgt ihr nicht, liegt ihr morgen
tot im Bett.> Der eine ging mit, obwohl ihn
der andere abzuhalten versuchte. Draussen
atif dem Feld befahlen die beiden Geister,
einen glühenden Markpfahl an die Grenze
zu setzen. Von Angst gequält, folgte er dem
Befehl, und als es geschehen war, verschwan
den die Geister lautlos. Er aber hatte die
Hand ganz verbrannt, mit der er den Pfahl
gehalten hatte. Entsetzt ging er heim, um es
seinem Freunde zu berichten, aber als er
dessen Schlafkammertüre öffnete, fand er
ihn tot im Bett.» 4
1 Arthur Brunhart: Der
Verlust des Ellhorns
1948. In: Balzner
Neujahrsblätter 1999,
S. 5-18.
2 Martin Gräber; Grenz-
und Wuhrstreitigkeiten
zwischen den Gemein
den Balzers und Wartau.
In: Balzner Neujahrs-
blätter 2001, S. 23-30.
2 Zitiert nach Georg
Malin, LUB 1/4, S. 105.
Ich möchte mich an
dieser Stelle auch bei
Claudius Gurt, Bearbei
ter des zweiten Teils
des Liechtensteinischen
Urkundenbuchs, für die
Hinweise auf Quellen
und Literatur zu dem
hier bearbeiteten The
ma herzlich bedanken.
4 Otto Seger: Sagen aus
Liechtenstein. Nendeln
1980 (Nachdruck der
Ausgabe von 1966),
Nr. 36.