Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2004) (2004)

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Balzers besass. In der letztgenannten 
Urkunde verzichten die Gebrüder 
Hug, Heinrich und Albrecht, Grafen 
von Werdenberg, auf alle Ansprüche 
am Besitz Gutenberg, den sie von den 
Kindern des Herrn von Frauenberg 
erkauften, nachdem die Herzoge 
Friedrich und Leopold von Österreich 
den Streit um eben dieses Gut beige 
legt hatten (LUB 1/1, S. 180f.). 
In seinem Aufsatz «Untersuchungen 
zur Genealogie der Freiherren von 
Wildenberg und von Frauenberg» 
kommt Muraro zu folgendem Schluss: 
Mit höchster Wahrscheinlichkeit hat 
sich um die Mitte des 13. Jahrhun 
derts - nach einer Erbteilung - das 
Geschlecht der Herren von Sagens in 
mehrere durch neue Namengebung 
unterscheidende Zweige aufgespal 
ten, unter denen auch das Geschlecht 
derer von Frauenberg aufschien. Die 
offensichtlich hoch angesehenen Her 
ren von Sagens scheinen nämlich um 
die Mitte des 13. Jahrhunderts aus der 
Geschichte zu verschwinden. Doch 
wie Muraro bemerkt, kann man fest 
stellen, «... dass im selben Zeitraum, 
im selben Gebiet und z. T. mit identi 
schen Namen und vergleichbarem Be 
sitz an Rechten und Gütern ebenso 
plötzlich die Gruppe der Freiherren 
von Greifenstein, Wildenberg, Frau 
enberg und Fryberg auftaucht.» Ein 
wichtiges Indiz für die oben genannte 
These ist das zeitliche Ineinander- 
fliessen des 1251 erwähnten Bruder 
paares Heinrich und Friedrich von 
Sagens mit «H. miles de frövinberch 
et dominus Fridericus suus frater» im 
Jahre 1257. Somit ist Heinrich I. von 
Frauenberg mit grösster Wahrschein 
lichkeit identisch mit dem 1251 auf 
geführten «H. de Segennis», der unter 
der Bezeichnung «von Sagens» später 
nicht mehr auftritt. 
Welcher der beiden Heinriche nun der 
Minnesänger war, kann nicht mehr be 
stimmt werden. Bartsch entscheidet 
sich wegen der kämpferischen Natur, 
die man auch in der Miniatur sehen 
kann, für den jüngeren, Rosenhagen in 
der ersten Auflage des «Verfasser 
lexikons» für den älteren. 
Falls Heinrich II. von Frauenberg der 
Minnesänger war, könnte die Frage, die 
ich im Titel dieser Ausführungen ge 
stellt habe, mit Ja beantwortet werden. 
Die überlieferten Lieder 
Beim ersten von Heinrich von Frau 
enberg überlieferten Minnelied han 
delt es sich um ein so genanntes Tage 
lied, bei den restlichen vier um 
Minneklagen. 
Mit «Tagelied» bezeichnet man übli 
cherweise eine Untergattung der mit 
telhochdeutschen Liebeslyrik (12. bis 
15. Jahrhundert), die einen ganz be 
stimmten Inhalt in kennzeichnender 
Weise darstellt, nämlich die Trennung 
und den Abschied eines Liebespaares 
nach einer heimlich verbrachten ge 
meinsamen Nacht, immer in Furcht, 
entdeckt zu werden. Dargestellt wird 
diese Handlung meistens in einer 
Kombination von Erzählung und Dia 
log. Es kommen normalerweise drei 
Figuren vor: die Dame, ihr Geliebter, 
der sie verlassen muss, und ein Wäch 
ter, der teils nur als Morgenverkünder, 
oft aber auch als Vertrauter fungiert. 
Backes erwähnt, dass in unserem Ta 
gelied schon das Motiv des bestechli 
chen, geldgierigen Wächters anklingt. 
Der Handlungsraum ist fast immer 
das Schlafgemach der Dame, und die 
Handlungszeit ist der früheste Mor 
gen. Das Nahen des Tages wird in 
Frauenbergs Tagelied auffälligerweise 
nicht durch den Morgenstern, son 
dern durch den Orion angezeigt. 
Die Minneklage gehört zur «subjekti 
ven» Gattung des Minnesangs, in wel 
cher ein Erzähler in der Ich-Form vor 
trägt, im Gegensatz zur «objektiven» 
Gattung, bei der der Erzähler nur Beo 
bachter ist, wie z. B. beim Tagelied. 
Ein meist männliches Ich liebt oder 
begehrt eine ihm höher gestellte, ver 
heiratete Frau. In der Rolle eines Un 
tertanen bemüht sich der Mann durch 
seinen «Dienst», die Zuneigung seiner 
Herrin, seiner Dame zu erlangen. «Die 
Lage ist vielfältig paradox. Die Minne 
ist aussichtsloser Dienst und verlangt 
doch, im Sinne der feudalen Ordnung, 
ihren Lohn; der Liebende verlangt Ge 
genliebe und darf doch nicht wün 
schen, die Tugend der Herrin in Frage 
zu stellen.» (Wehrli, S. 350) 
Im zweiten Lied (mit Natureingang) 
schildert das Ich, das sich zwar nach 
aussen fröhlich zeigt, seinen jahrelan 
gen Kummer, den es wegen der Ge 
liebten erfährt. Nur sie ist diejenige, 
die ihm Freude geben kann. In diesem 
wie auch im fünften Lied werden der 
Mund der Geliebten und ihr Lächeln 
mehrfach erwähnt. Ähnlich wie im 
zweiten klingt es auch im dritten 
Lied. Trotz der Not, die das Ich emp 
findet, bleibt es der Geliebten unter 
geben und spricht in der letzten Stro 
phe von der Hoffnung auf ihre Gnade. 
Im vierten Lied wird vor allem die 
Einzigartigkeit der Geliebten hervor 
gehoben, und das Ich fragt nach dem 
Tag, an dem es sie in seinen Armen 
sieht. Die Frau Minne soll sie dazu 
drängen. Im fünften Lied klagt das 
sehnsüchtige Ich über die sich durch 
abweisendes Verhalten versündigen 
de Geliebte, über ihre Augen und über 
ihren treulosen Mund, die ihm Scha 
den zugefügt haben. 
Frauenbergs Minnelieder sind in Stol 
lenstrophen geschrieben, einer der 
häufigsten Strophenformen der mit 
telhochdeutschen Dichtung. Eine 
Stollenstrophe besteht aus zwei met 
risch gleich gebauten Versgruppen 
(Aufgesang: 1. und 2. Stollen), welche 
nach derselben Melodie gesungen 
werden, und einem anders gebauten 
und gesungenen Abgesang. Zur Er 
läuterung soll uns die 1. Strophe des 
Tageliedes dienen: 
Aufgesang 
1. Stollen 
Gegen dem morgen 
suozze ein wahter lüte sank, 
dö er sach den oriön. 
2. Stollen 
Dä verborgen 
wibes bilde zuo zim drank, 
(...) durh minnen lön: 
Abgesang 
«Frouwe hère, 
ja suit ir wachen: 
ich sihe des nahtes krefte balde 
swachen, 
in singe niht mère.» 
Die Transkription der überlieferten 
mittelhochdeutschen Lieder folgt gröss 
tenteils der Ausgabe «Die Schweizer 
Minnesänger», 1990, herausgegeben 
von Max Schiendorfer. 
An dieser Stelle möchte ich Herrn 
Prof. Dr. Paul Michel herzlich danken, 
der so freundlich war, mir meine 
Übersetzungen durchzusehen und 
Fehlendes zu ergänzen.
	        

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