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Balzers besass. In der letztgenannten
Urkunde verzichten die Gebrüder
Hug, Heinrich und Albrecht, Grafen
von Werdenberg, auf alle Ansprüche
am Besitz Gutenberg, den sie von den
Kindern des Herrn von Frauenberg
erkauften, nachdem die Herzoge
Friedrich und Leopold von Österreich
den Streit um eben dieses Gut beige
legt hatten (LUB 1/1, S. 180f.).
In seinem Aufsatz «Untersuchungen
zur Genealogie der Freiherren von
Wildenberg und von Frauenberg»
kommt Muraro zu folgendem Schluss:
Mit höchster Wahrscheinlichkeit hat
sich um die Mitte des 13. Jahrhun
derts - nach einer Erbteilung - das
Geschlecht der Herren von Sagens in
mehrere durch neue Namengebung
unterscheidende Zweige aufgespal
ten, unter denen auch das Geschlecht
derer von Frauenberg aufschien. Die
offensichtlich hoch angesehenen Her
ren von Sagens scheinen nämlich um
die Mitte des 13. Jahrhunderts aus der
Geschichte zu verschwinden. Doch
wie Muraro bemerkt, kann man fest
stellen, «... dass im selben Zeitraum,
im selben Gebiet und z. T. mit identi
schen Namen und vergleichbarem Be
sitz an Rechten und Gütern ebenso
plötzlich die Gruppe der Freiherren
von Greifenstein, Wildenberg, Frau
enberg und Fryberg auftaucht.» Ein
wichtiges Indiz für die oben genannte
These ist das zeitliche Ineinander-
fliessen des 1251 erwähnten Bruder
paares Heinrich und Friedrich von
Sagens mit «H. miles de frövinberch
et dominus Fridericus suus frater» im
Jahre 1257. Somit ist Heinrich I. von
Frauenberg mit grösster Wahrschein
lichkeit identisch mit dem 1251 auf
geführten «H. de Segennis», der unter
der Bezeichnung «von Sagens» später
nicht mehr auftritt.
Welcher der beiden Heinriche nun der
Minnesänger war, kann nicht mehr be
stimmt werden. Bartsch entscheidet
sich wegen der kämpferischen Natur,
die man auch in der Miniatur sehen
kann, für den jüngeren, Rosenhagen in
der ersten Auflage des «Verfasser
lexikons» für den älteren.
Falls Heinrich II. von Frauenberg der
Minnesänger war, könnte die Frage, die
ich im Titel dieser Ausführungen ge
stellt habe, mit Ja beantwortet werden.
Die überlieferten Lieder
Beim ersten von Heinrich von Frau
enberg überlieferten Minnelied han
delt es sich um ein so genanntes Tage
lied, bei den restlichen vier um
Minneklagen.
Mit «Tagelied» bezeichnet man übli
cherweise eine Untergattung der mit
telhochdeutschen Liebeslyrik (12. bis
15. Jahrhundert), die einen ganz be
stimmten Inhalt in kennzeichnender
Weise darstellt, nämlich die Trennung
und den Abschied eines Liebespaares
nach einer heimlich verbrachten ge
meinsamen Nacht, immer in Furcht,
entdeckt zu werden. Dargestellt wird
diese Handlung meistens in einer
Kombination von Erzählung und Dia
log. Es kommen normalerweise drei
Figuren vor: die Dame, ihr Geliebter,
der sie verlassen muss, und ein Wäch
ter, der teils nur als Morgenverkünder,
oft aber auch als Vertrauter fungiert.
Backes erwähnt, dass in unserem Ta
gelied schon das Motiv des bestechli
chen, geldgierigen Wächters anklingt.
Der Handlungsraum ist fast immer
das Schlafgemach der Dame, und die
Handlungszeit ist der früheste Mor
gen. Das Nahen des Tages wird in
Frauenbergs Tagelied auffälligerweise
nicht durch den Morgenstern, son
dern durch den Orion angezeigt.
Die Minneklage gehört zur «subjekti
ven» Gattung des Minnesangs, in wel
cher ein Erzähler in der Ich-Form vor
trägt, im Gegensatz zur «objektiven»
Gattung, bei der der Erzähler nur Beo
bachter ist, wie z. B. beim Tagelied.
Ein meist männliches Ich liebt oder
begehrt eine ihm höher gestellte, ver
heiratete Frau. In der Rolle eines Un
tertanen bemüht sich der Mann durch
seinen «Dienst», die Zuneigung seiner
Herrin, seiner Dame zu erlangen. «Die
Lage ist vielfältig paradox. Die Minne
ist aussichtsloser Dienst und verlangt
doch, im Sinne der feudalen Ordnung,
ihren Lohn; der Liebende verlangt Ge
genliebe und darf doch nicht wün
schen, die Tugend der Herrin in Frage
zu stellen.» (Wehrli, S. 350)
Im zweiten Lied (mit Natureingang)
schildert das Ich, das sich zwar nach
aussen fröhlich zeigt, seinen jahrelan
gen Kummer, den es wegen der Ge
liebten erfährt. Nur sie ist diejenige,
die ihm Freude geben kann. In diesem
wie auch im fünften Lied werden der
Mund der Geliebten und ihr Lächeln
mehrfach erwähnt. Ähnlich wie im
zweiten klingt es auch im dritten
Lied. Trotz der Not, die das Ich emp
findet, bleibt es der Geliebten unter
geben und spricht in der letzten Stro
phe von der Hoffnung auf ihre Gnade.
Im vierten Lied wird vor allem die
Einzigartigkeit der Geliebten hervor
gehoben, und das Ich fragt nach dem
Tag, an dem es sie in seinen Armen
sieht. Die Frau Minne soll sie dazu
drängen. Im fünften Lied klagt das
sehnsüchtige Ich über die sich durch
abweisendes Verhalten versündigen
de Geliebte, über ihre Augen und über
ihren treulosen Mund, die ihm Scha
den zugefügt haben.
Frauenbergs Minnelieder sind in Stol
lenstrophen geschrieben, einer der
häufigsten Strophenformen der mit
telhochdeutschen Dichtung. Eine
Stollenstrophe besteht aus zwei met
risch gleich gebauten Versgruppen
(Aufgesang: 1. und 2. Stollen), welche
nach derselben Melodie gesungen
werden, und einem anders gebauten
und gesungenen Abgesang. Zur Er
läuterung soll uns die 1. Strophe des
Tageliedes dienen:
Aufgesang
1. Stollen
Gegen dem morgen
suozze ein wahter lüte sank,
dö er sach den oriön.
2. Stollen
Dä verborgen
wibes bilde zuo zim drank,
(...) durh minnen lön:
Abgesang
«Frouwe hère,
ja suit ir wachen:
ich sihe des nahtes krefte balde
swachen,
in singe niht mère.»
Die Transkription der überlieferten
mittelhochdeutschen Lieder folgt gröss
tenteils der Ausgabe «Die Schweizer
Minnesänger», 1990, herausgegeben
von Max Schiendorfer.
An dieser Stelle möchte ich Herrn
Prof. Dr. Paul Michel herzlich danken,
der so freundlich war, mir meine
Übersetzungen durchzusehen und
Fehlendes zu ergänzen.