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re hinein und hinten wieder hinaus,
und in der Mitte steht dann der Wag
ner», sagt Neli zu Gerlinda. «Er macht
auch immer zur Weihnachtszeit ganz
schöne Spielsachen, wie kleine Leiter
wagen, Puppenhäuser für Mädchen
und Ställe für die Buben. Das ist sehr
schön, denn es bringt uns die Vorfreu
de zur kommenden Weihnachtszeit.»
- «Er arbeitet auch jeden Tag bis spät
in die Nacht. Mein Papa hilft ihm da
bei, damit er dem Christkind die Sa
chen auch noch rechtzeitig abliefern
kann», erzählt ihr Nana.
Gleich sind sie da. Vor dem ITaus des
Wagners kann man schon erkennen,
dass der, der ihn sucht, am richtigen
Ort ist. Oder wenn der Kunde lesen
kann, ist da noch an der Strassenseite
der Aussenwand des Hauses der
Name des Wagners aufgemalt. Da leh
nen neben der Eingangstüre einge
schneite, eisenbereifte Holzräder, die
geflickt werden müssen, oder eine
lange Sprossenleiter, die auch repara
turbedürftig ist. Unter dem Vordach
neben dem grossen Birnbaum steht
ein Leiterwagen mit gebrochenem
Speichenrad. Die kleineren Hand
werkzeuge, die zum Erneuern oder
zum Schleifen sind, befinden sich
drinnen in der Werkstatt. Als sie die
Werkstatt betreten, kommt ihnen der
grauhaarige, rundliche Mann mit
Schnurrbart humpelnd an seinem
Stock entgegen. Er holt gerade Brenn
holz für seinen runden Ofen, der in
der Ecke steht und ihm den grossen
Raum etwas aufwärmt. Diese Arbeit
ist recht mühsam für ihn, denn seine
Behinderung lässt ihm nur eine Hand
hei, das Brennholz zu tragen. «Ja,
wer kommt denn da!» Er freut sich
über den Besuch und macht seinen
Spass mit den Mädchen. Dabei über
sieht er Gerlinda, die etwas abseits
steht. «Komm Josef, wir helfen dir»,
sagen sie. Und jedes nimmt ein Stück
und legt es in der Nähe des Ofens ab.
Das freut natürlich den Wagner, und
er bedankt sich. Er füllt den Ofen von
oben, indem er zuerst den heissen
Deckel mit seinen klobigen Fingern
abhebt, so als ob das gar nichts wäre.
Überall stehen Holzleisten und Bret
ter, so dass nur noch ein schmaler
Weg, übersät mit Spänen und Säge
mehl, besteht, der von seiner Werk
bank zum Ofen, zu den beiden Aus
gangstüren und zu den verschiedenen
Maschinen führt. An der rauchge
schwärzten Holzdecke sieht man
Spinnweben, in denen der Sägemehl
staub hängt. Halterungen für die
Übersetzungen des Riemenantriebs
für die Maschinen sind ebenfalls an
der Decke befestigt. In der Mitte sei
nes Arbeitsplatzes ist ein Fenster.
Links und rechts davon hängen seine
Werkzeugkästen. Mitten im Raum
steht die grosse Bandsäge.
«Manchmal kommen wir hierher zum
Spielen. Man kann sich hier sehr gut
verstecken, oder wir spielen im Säge
mehl», erzählt Linda. Josef schaut
jetzt einer sonderbaren Frau in die
Augen, deren Anblick ihm ein Rätsel
ist. «Aha, wer ist denn das?», fragt er
und wundert sich erst jetzt, was die
Unbekannte mit ihrem langen Rock
und dem grossen Kopftuch will. Vol
ler Stolz stellt Waly ihm Gerlinda vor
und erzählt ihm von ihr - aber nicht
alles! «Da habt ihr noch eine schöne
Zeit vor euch, Kinder», bemerkt Josef
und arbeitet an seinem Werkstück
weiter, das er auf der Hobelbank be
festigt hat.
Sie schauen ihm eine Weile zu, stellen
Fragen und plaudern mit ihm. Schön
zum Zusehen, wie gefühlvoll er mit
dem Zugmesser einen Axtstiel anfer
tigt. «So, wir gehen jetzt weiter zu
Engelbert, dem Händler, denn wir
müssen noch unsere Funkensachen
kaufen.» - «Ja so, morgen ist Funken
sonntag! Kommt her, ihr bekommt
von mir auch noch ein paar Münzen.»
Er greift unter seine Schürze und zieht
seinen Geldbeutel aus der Brusttasche
seiner Weste. «Wir müssen ihm
manchmal bei Engelbert Kautabak
kaufen», flüstert Neli Gerlinda ins Ohr.
«Kautabak? ... Wäähhü»
Dankend nehmen die Kinder die
Münzen entgegen und verlassen die
Werkstatt des Wagners durch die Hin
tertüre, wie immer, wenn sie aus der
Schule kommen und schnell noch bei
Josef vorbeischauen; denn bei ihm
gibt es zu jeder Jahreszeit viel Interes
santes zu sehen.
Als sie bei dem Laden des Kolonialwa
renhändlers ankommen, scheint für
Gerlinda ein neues Zeitalter anzubre
chen. Da sind zwei grosse Schaufens
ter, links davon eine Eingangstür.
Oben über den grossen Schaufenstern
hängt eine Tafel, auf der zu lesen ist:
KOLONIALWARENHÄNDLER
ENGELBERT
Hinter den Scheiben sind verschiede
ne Artikel wie Säcke, Schachteln und
Waschmehl, Flaschen und Werkzeuge
ausgestellt. «Da, da!», ruft Neli und
drückt sich an der Scheibe fast die
kleine Nase platt. «Kareten, Kareten!»
- «Aber Neli, das heisst doch Rake
ten», erklärt ihr ihre grosse Schwester
Nana. Gerlinda ist starr vor Staunen
und hat nicht mitbekommen, was die
Mädchen plaudern. Vor der Laden
türe stehen sie nun. Linda hat schon
an dem Griff gezogen, der auf der
rechten Seite am Türstock befestigt
ist. Das Gestänge bewegt eine kleine
Glocke im Hausflur des Händlers, die
sehr laut klingt. Im Hausflur hört
man alsbald die hell-heisere Stimme
eines Mannes: «Komme ja schon, ich
komme ja schon!» Jeden Schritt über
die hölzerne Treppe herunter kann
man deutlich hören. Engelbert trägt
immer grosse, schwere Schuhe, weil
er so viel hinter seinem Ladentisch
stehen muss. Bald darauf schiebt er
den Riegel auf und öffnet die Ein
gangstüre. Drinnen steht eine grosse,
magere Gestalt. Die Hosenträger zie
hen ihm die Hosen weit über seinen
Bauch hinauf. «Ja, wen haben wir
denn da? Meine liebsten Nachbars
kinder.» Das sagt Engelbert jedes Mal,