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«Dr Gimmerääs und dr Gammerääs ...»
Aussterbende Kinderreime und Spottverse
Georg Burgmeier
Vorbemerkung
«Den Kindervers begreifen wollen,
heisst, ihn in seinen sozialen Funktio
nen sehen und seine unterschiedli
chen Erscheinungsformen als Funk
tionsmodelle.» 1
Kinderverse sind also alles andere als
herzige Gedichtchen, welche die «lie
ben Kleinen» zum Ergötzen der Er
wachsenen aufsagen. Sie bilden viel
eher ein Ventil gegen Emst im Kinder
alltag; ein Instrument, um sich gegen
Widersacher zu behaupten; eine ver
bale Waffe als Ersatz für brachiale
Gewalt und nicht zuletzt ein Mittel,
um lustvoll Grenzen zu überschrei
ten, die von irgendwelchen Autori
tätspersonen gezogen worden sind.
Wenn man die Kinderreime und Ab
zählverse unter diesem sozialen As
pekt betrachtet, erfüllen sie eine nicht
unbedeutende Aufgabe. Dazu noch
einmal Peter Rühmkorf; «Durch den
Vers regeln sich die Beziehungen der
Kinder untereinander im Guten wie
im Bösen. ... Die Sublimierung ins
Humane spüren wir selbst dort noch,
wo der Vers auf ersten Anschein alles
andere als Bezähmung predigt. An
feuerungen zur Schlacht, blutige An
drohungen und Verwarnungen sind
zwar im Kinderreim sowohl die Regel
wie die Lust, den Partner in die Enge
zu treiben. Nur dass die verbale Pro
vokation dann doch eben eine Trieb
abfuhr ins Harmlosere bedeutet und
über das Medium der Poesie die Lust
an Gewalttat zu spielerischem Wett
streit sich wandelt.» 2
Heute muss diese Einschätzung über
die soziale Bedeutung der Kinder
verse relativiert werden. Obwohl es
eine ganze Reihe von Sammlungen
mit Kinderreimen gibt - stellvertre
tend möchte ich das Standardwerk
«Brauchtum in Liechtenstein» von
Adulf Peter Goop anführen 3 -, kennt
die jüngere Generation dieses alte
Kulturgut oft nur noch vom Hörensa
gen. Die Kinder unserer Zeit müssen
somit ihre sozialen Machtkämpfe, sei
es gegenüber Gleichaltrigen oder den
paar übrig gebliebenen Autoritäten,
mit anderen Mitteln austragen ...
Doch genug der Theorie! Blicken wir
zurück in eine Zeit, in der sich «über
das Medium der Poesie die Lust an
Gewalttat zu spielerischem Wett
streit» wandelte.
Gereimtes und Ungereimtes aus der
Kinderstube von vorgestern
Scherzhafte Bosheiten - derber Spott
Wie in der Einleitung bereits festge
halten, dienten Kinderverse in hohem
Masse als Ventil, um den Unmut ge
genüber Spielkameraden oder Er
wachsenen zu dämpfen. Es erstaunt
deshalb nicht, dass Reime und Verse
mit eher derbem oder leicht boshaf
tem Inhalt zahlenmässig deutlich
überwiegen. Da werden dann Namen
verballhornt oder mit möglichst gro
ben Ausdrücken echte Schläge durch
verbelle Attacken ersetzt.
Sehr oft war der Spott so angesetzt,
dass er buchstäblich in die Hose ging:
Badescht 4 , Badescht,
häscht d Hosa voll Mescht!
Jedes Kind hatte in seinem Sprüche
repertoire eine Reihe handfester Be
griffe, und man wartete nur darauf,
diese - eingekleidet in ein «harmloses»
Sprüchlein - zum Besten zu geben:
H und du und d Dorathee 5
händ danand uf d Schnorm gee.
Die folgende kleine Moritat erinnert
gar an alttestamentlichen Bruder
mord;
Peter und Paul
hauend anand ufs Maul.
Dr Peter nümmt an Löffel
und haut äm Paul ein Bötzel 6 .
Der Paul nümmt s Brot
und haut dr Peter tot.
Neben den Spielgefährten, die teils
wegen ihres Namens, teils wegen ih
rer Eigenheiten Ziel von Foppereien
wurden, konnten auch völlig ah
nungslose Personen, mit Vorliebe Er
wachsene, zu Opfern kindlicher Aus
gelassenheit werden.
Klopfte ein Besucher an die Tür,
konnte es verkommen, dass er mit fol
gendem «Willkommensgruss» emp
fangen wurde:
Herein!
's wird wohl kein Geissbock
draussen sein!
Schliesslich bekamen bekannte Per
sonen, etwa der Briefträger, der
Stromableser oder der Kaminfeger,
ebenfalls ihr Fett weg:
Kämmefäger, schwarza Maa,
hätt a dräggegs Hämple aa.
Wenn jedoch Autoritätspersonen -
früher waren das Pfarrer, Vorsteher
und Lehrer - Ziele der kindlichen
Spässe wurden, kannte der Übermut
kaum Grenzen. Die Sprüchlein dazu
liess man jedoch wohlweislich nur im
Kreise Gleichgesinnter zirkulieren.
Das sportliche Schreiten der Lehrer
wurde folgendermassen veräppelt;
Linggs, rächts, linggs, rächts,
hinderem Lehrer stinggts rächt!
Nicht besser erging es der Hohen
Geistlichkeit. Keine «heilige Scheu»