sensein tief in ihr Herz schleiche. Be
sonders die Wintermonate machten
ihr zu schaffen. Die schneeverwehte
Winterlandschaft empfand sie als
trostlos. Das trübe, lange Nebelwetter
rief eine düstere Stimmung in ihr her
vor. Im Frühjahr 1898 fiel sie in geisti
ge Umnachtung. Sie bot das Bild
einer katatonischen Schizophrenen.
Doch ihr Zustand könnte noch andere
Gründe als die Einsamkeit gehabt ha
ben. So schrieb ihre Schwester Emma
in einem Brief an ihren entfernten
Verwandten Alois Rheinberger in
Amerika: «Unsere geliebte älteste
Schwester Hermine wurde plötzlich
geisteskrank ... Sie, die so intelligen
te, geistreiche, immer fröhliche! Sie
war besonders in der Schriftstellerei
begabt und hatte ein Buch <Guten-
berg-Schalun> veröffentlicht, worüber
sie allgemeine Freude erntete, bis an
eine für sie ungünstige Kritik, welche
sie so ernst, tief und schwer aufnahm,
dass sie nicht mehr zu trösten war ...
Dazu kam noch, dass sie in die Hände
eines ungeeigneten, egoistischen Ver
legers geriet, welcher ihr immer wie
der vorgab, das Buch hätte keinen Ab
satz ,..» 7
Ruine Schalun oberhalb von Vaduz.
Blick nach Nordwesten. Im Hinter
grund das Schweizer Rheintal.
Aquarell von Moriz Menzinger, 1867
Nach Angaben von Herrn Dr. Rudolf
Rheinberger, Vaduz, hatte Hermine
die «Gartenlaube», eine damals be
liebte Zeitschrift, abonniert. Als sie
den Rat ihres Beichtvaters, das Abon
nement aufzulösen, nicht befolgte,
habe er die Absolution verweigert.
Von da an sei die geistige Verände
rung eingetreten. Eine andere Erklä
rung könnte eine starke Kopfgrippe
sein, die Hermine hatte, bevor sie
geisteskrank wurde. Während dieser
Grippe schlief sie tagelang und war
auch durch Nadelstiche nicht mehr
zu wecken. Anschliessend sei dann
die geistige Veränderung da gewesen.
Doch Hermines Äusserungen, die sie
in verschiedenen Briefen über einen
längeren Zeitraum gemacht hatte, las
sen eher auf eine Schizophrenie
schliessen. Für diese Krankheit spre
chen auch das Alter von 33 Jahren, die
hohe Intelligenz und eine erbliche Be
lastung von Seiten der Mutter.
samkeit gewesen sein, mit der sie
nicht umgehen konnte. Hermines
Schwester Olga wohnte von 1892 bis
1897 in München bei ihrem Onkel.
Emma war schon längere Zeit im
Harz, und Bruder Egon begab sich im
März 1897 auf eine ausgedehnte
Italienreise, die fast ein Jahr dauerte.
Der so menschenliebenden, ansons
ten immer fröhlichen Hermine man
gelte es an Geselligkeit. Sie zog sich
immer mehr in ihre eigene Welt zu
rück und fand Trost und Halt in ihren
Büchern. Sie war Kontakte nicht
mehr gewohnt. «Neulich kam s'Mimi
und holte mich zu einem Spaziergang
ab. Ich musste auch meine Ansichten
äussern und dann kam mir meine
Stimme ganz fremd vor. Darüber bin
ich ordentlich erschrocken, es kehrt
aber auch keine Seele im roten Haus
mehr ein.» 6
Mit Olga unterhielt Hermine ständi
gen Briefverkehr, und in diesen Brie
fen vertraute sie sich ihrer Schwester
gelegentlich an. Sie erzählte Olga von
ihren oft so schwarzen Gedanken, von
der Feere des Hauses, die unvorstell
bar sei, und wie sehr sich das Verlas