Aldina Sievers-Nutt (1952)
Meine Mutter wischte sich die Tränen aus den Augen, wie ich als Zwanzigjährige, jüngste
von vier Töchtern, das Haus verliess, um in eine Stadt zu ziehen. «Wenn du wüsstest,
Mama, dass ihr mich hier so bald nicht wieder sehen werdet», dachte ich hartherziges
Geschöpf. Es war mir zu eng in Balzers, ich wollte weg, möglichst weit und für immer.
Nach zehn Jahren Stadtleben zog es mich zurück aufs Land.
Seit zwölf Jahren lebe ich wieder in Balzers, im umgebauten Elternhaus «mit Kanal-
anstoss». Zum Spass prahle ich gerne damit, dass ich vom Küchenfenster aus Forellen
angle, wenn der Kühlschrank leer ist. Trotz einiger neuer Häuser in der Umgebung ist
der Blick von meiner Haustüre Richtung Burg Gutenberg unverändert wie in meiner
Kindheit. Auch die Nachbarskinder spielen bei schönem Wetter auf der Strasse wie wir
früher. Sie sind nicht mehr so zahlreich, wie wir waren, und spielen andere Spiele. Wir
lasen die Messe auf der Scheiterbeige im «Tänn». Meine ältere Schwester war der Pfar
rer, ich durfte das Weihrauchfass schwingen. Die Attraktion dieses Spiels rührte sicher
daher, dass wir Mädchen nicht ministrieren durften; mit Frömmigkeit hatte es wenig zu
tun, denn im Mai, wenn Pfarrer Candreia zur Maiandacht ging, versteckten wir uns hin
ter den Heuhöckerchen auf den Wiesen. Sobald er vorbei war, hüpften wir wieder dar
über, bis von einem Haufen nicht mehr viel zu sehen war.
Balzers ist landschaftlich schön gelegen und hat mit dem Burghügel und der Pfarrkirche
einen sehr hübschen, markanten Mittelpunkt. Am schönsten finde ich den Blick auf das
Dorf, wenn man von der Luziensteig herunterkommt. Mein Mann und ich machen oft
Dorfspaziergänge. Wir beobachten, wo und welche neuen Häuser entstehen. Die Vielfalt
an Farben, Fenstern, Baikonen, Dächern usw. auf kleinem Raum ist schon erstaunlich.
Man könnte glauben, das einzige Verbot der Bauordnung bestünde darin, dem Nachbarn
etwas abzuschauen. An der Sanierung von Altbauten scheint man wenig Interesse zu
haben. Warum halbzerfallene alte Häuser in diesem reichen Dorf? Was uns auf unseren
Touren auch immer wieder auffällt, ist, wie wenig anderen Fussgängern wir begegnen.
Wir schätzen aber auch die grösseren Wanderungen in die Umgebung, die wir von der
Haustüre an zu Fuss antreten können - vor allem natürlich jene nach Fläsch, wohin auch
ein gutes Glas Wein und Bündnerfleisch locken.