Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2000) (2000)

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Ludwig Zink (1937) 
Im Anfang der Zeiten schuf der liebe Gott Balzers. Er formte mit dem Daumen, dem Zeige 
finger und dem Mittelfinger Wörznerhorn, Mittagspitz und Falknis, mit der gewölbten 
Handfläche den Regitzerspitz und das Ellhorn. Dann machte er mit dem Zeigefinger eine 
Rille, das war das Bachbett des Rheins. Zum Schluss gestaltete er mit drei Fingern einen 
kleinen Hügel; auf ihm sollte später einmal die Burg Gutenberg gebaut werden. Dann 
bildete er den ersten Balzner und die erste Balznerin. Obwohl er ziemlich müde von der 
Anstrengung war, entschloss er sich doch noch, jenseits des Rheins und der Berge Tiere 
und andere Menschen zu schaffen. 
Bei dieser Genesiserzählung ist es nicht verwunderlich, dass alle Einwohner Balzers als die 
Mitte der Welt erachten und es als den schönsten Fleck Erde bewerten, den es überhaupt 
geben kann. Als ich einmal vom Urlaub zurückkehrte, fragte ich Hans-Ruedi Müller: 
«Gehst du auch in den Urlaub?» - «Wia kascht du no so eppes frooga, i bi med änara 
Balznere ghüroota.» Da es nirgends in der Welt schöner als in Balzers sein kann, bleibt 
der echte Balzner im Urlaub zu Hause. Ich gehe immer wieder einmal ins Ausland. Und 
wenn ich zurückkehre, sage ich mir jeweils: «Es ist wirklich schön, hier in Balzers.» 
Doch ich muss Weggehen, um dies zu spüren, denn ich bin kein echter Balzner. Aller 
dings habe ich auch gemerkt, dass das von mir vorgestellte Balzner Naturschutzgehege 
in den letzten Jahren einige Risse bekommen hat, denn es gibt auch einige Ausreisser, 
etliche Abenteurer und Weltenbummler in Balzers. 
Ich habe am Anfang die Erfahrung gemacht, dass ich als Süddeutscher nicht immer ver 
standen wurde. Vielleicht hat es damit zu tun, dass der Balzner sich Zeit lässt, dass er den 
Fremden gegenüber eher skeptisch ist. Einander verstehen ist nicht nur eine Sache des 
Gehörs, sondern auch ein Ausdruck der Sympathie und des Wohlwollens. Und das ist bei 
einem Balzner nicht von heute auf morgen zu schaffen. 
Die ersten Leute, mit denen ich in Balzers in Kontakt kam, waren Jugendliche der Taize- 
Runde, die sich jede zweite Woche im heimeligen Gewölbe des alten Pfarrhauses traf, wo 
wir Patres während der Zeit des Umbaus auf Gutenberg einquartiert waren. Es war für 
mich eine hilfreiche, ermutigende Gruppe für den Einstieg in die etwas gemächliche, 
soziokulturelle Situcüion des Dorfes. Beim Abschied von der Gruppe gab es immer 
Küsschen rechts und links. Ein warmer, emotionaler Föhnwind umgab uns dabei. Süd 
ländische Mentalität lag in der Luft. Balzers ist doch der südlichste Teil des Landes. 
Nicht umsonst werden die Balzner «Pföötschingga» genannt. 
Ich finde die Balzner recht grosszügig. Manchmal verwundert es mich, dass ich nichts 
bezahlen muss. Sie sagen dann: «Bätten Se a Vaterunser.» Da ich sie aber auch als spar 
sam einschätze, ergeben sich für meine Grosszügigkeitshypothese gewisse Einwände: 
Vielleicht sind die Balzner einfach in einem guten Sinn nachtragend. Sie denken vermut 
lich daran, wie sie - oder ihre Eltern - in den Jugendtagen aufs Schloss kamen und bei 
den Patres Privatstunden nahmen, um Schreibmaschine, Französisch, Steno oder Musik 
bei Pater Emil Baur zu lernen und zu üben. Vielleicht betrachten sie mich eben als einen 
der Nachkommen dieser «Schlossherren» und sind deshalb so grosszügig. 
Nun könnte ich ja noch mitteilen, wie ich mir die Balzner wünschen würde. Doch sie sind 
eben, wie sie sind: wie der Balzner Marmor. Sie haben ihre hellen und dunklen Seiten. 
Und wenn sie nicht so wären, wie sie sind, würde mir gewiss etwas fehlen.
	        

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