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Kleine Geschichten von aufmüpfigen, unbotmässigen,
widerspenstigen, eigenwilligen, rauflustigen Original-
balznern im zeitlichen Umfeld des Ersten Weltkrieges
Rupert Quaderer
Die Balzner und Balznerinnen gelten
als Leute von besonderem Schlag.
Sei es, dass sie durch ihr Sprach-
tempo, ihren Sprachklang und ihre
Wortformen auffallen, sei es, dass sie
als besonders musikalisch gelten
oder eben als politisch unbotmässig
und manchmal aufmüpfig. Letzteres
war wenigstens in früheren Zeiten so.
Nicht zufällig wuchs in den Krisen
zeiten des Ersten Weltkrieges eine
der Keimzellen der oppositionellen
Volkspartei in Balzers heran. Warum
dies so ist, wäre einer differenzierten
Untersuchung zu unterziehen. War
es die Nachbarschaft zum manchmal
rebellischen Graubünden? Waren es
die vielen Werktätigen aus Balzers,
die in der Schweiz das Rüstzeug zum
politischen Widerstand und zur Ver
breitung neuer Ideen holten? Waren
es die vielen durchziehenden Völker
und Heere früherer Zeiten, die den
Balznern ein etwas durchmischteres
und hitzigeres Gemüt verschafften?
Im folgenden seien einige Episoden
angeführt, die nicht als Antworten zu
den oben gestellten Fragen dienen
wollen; sie sollen eher mosaikartige
Charakterbilder präsentieren, ohne
dass daraus ein allgemein gültiges
oder gar abgeschlossenes Abbild des
Typus «Homo Sapiens Palazolensis»
erstellt werden könnte.
Der Erste Weltkrieg brachte für
Liechtenstein nach anfänglicher kur
zer Begeisterung, die sich vor al
lem in Sympathiekundgebungen für
die k. u. k. Monarchie Österreich-Un
garn ausdrückte, eine ernüchternde
Schockwirkung. Bald spürten die
Bewohnerinnen und Bewohner, dass
die Produkte teurer, die Arbeit rarer
und das Geld wertloser wurden. In
folge des Zoll- und Steuervertrages
mit Österreich standen an der Gren
ze Liechtensteins zur Schweiz, und
damit eben auch in Balzers, öster
reichische Finanzer, welche die Per
sonen- und Warenkontrolle nach
Zollslrasse z.
k.k Osierreich. undfiirsil.
LiecMenslein'schen Neben
zollatnfe ii. Klasse
Balzers
strengem k. u. k. Muster durchführ
ten. Der durch den Weltkrieg entstan
dene grosse Mangel an Lebensmit
teln und Rohstoffen Hess verständli
cherweise die Balzner nach Wegen
suchen, ihre Versorgung zu verbes
sern. Diese Wege verliefen nach Auf
fassung der staatlichen Behörden
nicht immer nach den gegebenen
gesetzlichen Vorschriften. Die ver
schiedene Auffassung - hie diejenige
eines Grossteils der notleidenden
Bevölkerung, hie diejenige der k. u. k.
Monarchie mit ihrer Bürokratie -
liess unausweichlich Konflikte ent
stehen. Die Balzner erregten aber
nicht nur Ärgernis bei den k. k. Be
hörden, sie riefen auch den Wider
spruch der liechtensteinischen, ja
sogar der balznerischen Gesetzes
und Moralhüter hervor.
Wie sparsam die Balzner Gemein
debehörde damals war und buch
stäblich jede einzelne Frankenaus
gabe zu vermeiden suchte, zeigt das
folgende Beispiel: Der Kriegsaus
bruch liess sehr bald Nachteile für
den Grenzverkehr sowohl was den
Warenaustausch als auch was den
Personenverkehr anbelangte, spür
bar werden. Das militärische Territo
rialkommando VII (St. Gallen) hatte
bereits im August 1914 verfügt, dass
der Verkehr über die Grenze auf der
ganzen Linie von 22 Uhr bis morgens
5 Uhr gänzlich gesperrt werde. Aus
nahmen wurden nur in dringenden
Fällen, z. B. für einen Arztbesuch, ge
stattet. Die schweizerische Grenze
gegen Liechtenstein wurde militä
risch bewacht und der Grenzübertritt
im Verlaufe des Krieges immer schär
feren Bestimmungen unterworfen.
So wurde im Oktober 1915 der Ein
tritt nach Graubünden über den Flä-
scherberg und dem Rhein entlang
gänzlich verboten. Für den Grenz
übergang Luziensteig wurde ein
Reisepass vorgeschrieben; ausser
dem war dieser Grenzübergang nur
von 5 Uhr morgens bis 22 Uhr abends
geöffnet. Die liechtensteinische Re
gierung konnte durch ihre Interven
tion beim Militärdepartement in
Bern erreichen, dass von diesem
nach Rücksprache mit dem eidgenös
sischen Zolldepartement gestattet
wurde, bei der Balzner Brücke ein
Läutwerk anzubringen. Dadurch war
es möglich, während der Sperrzeit in
dringenden Fällen das Zollamt Trüb
bach zum Öffnen des Brückentores
aufzurufen und den Arzt Dr. Grä-
miger in Trübbach um Hilfe anzu
gehen. Allerdings verlangten die
St. Galler Behörden pro angebroche
ne oder ganze Stunde Öffnung der
Brücke eine Gebühr von einem Fran
ken. Die Kosten für die Erstellung
des Glockenzuges wurden der Ge
meinde Balzers auferlegt. Dies wie
derum veranlasste die Ortsvorste-
hung Balzers, dem Zollamt in Trüb
bach mitzuteilen, dass sie gar kein
Gesuch um Erstellung eines solchen
Glockenzuges eingereicht habe und
deshalb auch den Glockenzug nicht
erstellen lasse. Die liechtensteinische
Regierung äusserte allerdings gegen
über der Direktion des Zollkreises III
in Chur, die Angaben der Ortsvorste-
hung Balzers träfen nicht zu, der
Glockenzug sei bereits erstellt.
Dass selbst die gemeindeeigenen Po
lizeiorgane mit den jungen Balznern
ihre Mühe hatten, geht aus folgender
Meldung hervor: Im Sommer 1915