Volltext: Balzner Neujahrsblätter (1998) (1998)

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Kleine Geschichten von aufmüpfigen, unbotmässigen, 
widerspenstigen, eigenwilligen, rauflustigen Original- 
balznern im zeitlichen Umfeld des Ersten Weltkrieges 
Rupert Quaderer 
Die Balzner und Balznerinnen gelten 
als Leute von besonderem Schlag. 
Sei es, dass sie durch ihr Sprach- 
tempo, ihren Sprachklang und ihre 
Wortformen auffallen, sei es, dass sie 
als besonders musikalisch gelten 
oder eben als politisch unbotmässig 
und manchmal aufmüpfig. Letzteres 
war wenigstens in früheren Zeiten so. 
Nicht zufällig wuchs in den Krisen 
zeiten des Ersten Weltkrieges eine 
der Keimzellen der oppositionellen 
Volkspartei in Balzers heran. Warum 
dies so ist, wäre einer differenzierten 
Untersuchung zu unterziehen. War 
es die Nachbarschaft zum manchmal 
rebellischen Graubünden? Waren es 
die vielen Werktätigen aus Balzers, 
die in der Schweiz das Rüstzeug zum 
politischen Widerstand und zur Ver 
breitung neuer Ideen holten? Waren 
es die vielen durchziehenden Völker 
und Heere früherer Zeiten, die den 
Balznern ein etwas durchmischteres 
und hitzigeres Gemüt verschafften? 
Im folgenden seien einige Episoden 
angeführt, die nicht als Antworten zu 
den oben gestellten Fragen dienen 
wollen; sie sollen eher mosaikartige 
Charakterbilder präsentieren, ohne 
dass daraus ein allgemein gültiges 
oder gar abgeschlossenes Abbild des 
Typus «Homo Sapiens Palazolensis» 
erstellt werden könnte. 
Der Erste Weltkrieg brachte für 
Liechtenstein nach anfänglicher kur 
zer Begeisterung, die sich vor al 
lem in Sympathiekundgebungen für 
die k. u. k. Monarchie Österreich-Un 
garn ausdrückte, eine ernüchternde 
Schockwirkung. Bald spürten die 
Bewohnerinnen und Bewohner, dass 
die Produkte teurer, die Arbeit rarer 
und das Geld wertloser wurden. In 
folge des Zoll- und Steuervertrages 
mit Österreich standen an der Gren 
ze Liechtensteins zur Schweiz, und 
damit eben auch in Balzers, öster 
reichische Finanzer, welche die Per 
sonen- und Warenkontrolle nach 
Zollslrasse z. 
k.k Osierreich. undfiirsil. 
LiecMenslein'schen Neben 
zollatnfe ii. Klasse 
Balzers 
strengem k. u. k. Muster durchführ 
ten. Der durch den Weltkrieg entstan 
dene grosse Mangel an Lebensmit 
teln und Rohstoffen Hess verständli 
cherweise die Balzner nach Wegen 
suchen, ihre Versorgung zu verbes 
sern. Diese Wege verliefen nach Auf 
fassung der staatlichen Behörden 
nicht immer nach den gegebenen 
gesetzlichen Vorschriften. Die ver 
schiedene Auffassung - hie diejenige 
eines Grossteils der notleidenden 
Bevölkerung, hie diejenige der k. u. k. 
Monarchie mit ihrer Bürokratie - 
liess unausweichlich Konflikte ent 
stehen. Die Balzner erregten aber 
nicht nur Ärgernis bei den k. k. Be 
hörden, sie riefen auch den Wider 
spruch der liechtensteinischen, ja 
sogar der balznerischen Gesetzes 
und Moralhüter hervor. 
Wie sparsam die Balzner Gemein 
debehörde damals war und buch 
stäblich jede einzelne Frankenaus 
gabe zu vermeiden suchte, zeigt das 
folgende Beispiel: Der Kriegsaus 
bruch liess sehr bald Nachteile für 
den Grenzverkehr sowohl was den 
Warenaustausch als auch was den 
Personenverkehr anbelangte, spür 
bar werden. Das militärische Territo 
rialkommando VII (St. Gallen) hatte 
bereits im August 1914 verfügt, dass 
der Verkehr über die Grenze auf der 
ganzen Linie von 22 Uhr bis morgens 
5 Uhr gänzlich gesperrt werde. Aus 
nahmen wurden nur in dringenden 
Fällen, z. B. für einen Arztbesuch, ge 
stattet. Die schweizerische Grenze 
gegen Liechtenstein wurde militä 
risch bewacht und der Grenzübertritt 
im Verlaufe des Krieges immer schär 
feren Bestimmungen unterworfen. 
So wurde im Oktober 1915 der Ein 
tritt nach Graubünden über den Flä- 
scherberg und dem Rhein entlang 
gänzlich verboten. Für den Grenz 
übergang Luziensteig wurde ein 
Reisepass vorgeschrieben; ausser 
dem war dieser Grenzübergang nur 
von 5 Uhr morgens bis 22 Uhr abends 
geöffnet. Die liechtensteinische Re 
gierung konnte durch ihre Interven 
tion beim Militärdepartement in 
Bern erreichen, dass von diesem 
nach Rücksprache mit dem eidgenös 
sischen Zolldepartement gestattet 
wurde, bei der Balzner Brücke ein 
Läutwerk anzubringen. Dadurch war 
es möglich, während der Sperrzeit in 
dringenden Fällen das Zollamt Trüb 
bach zum Öffnen des Brückentores 
aufzurufen und den Arzt Dr. Grä- 
miger in Trübbach um Hilfe anzu 
gehen. Allerdings verlangten die 
St. Galler Behörden pro angebroche 
ne oder ganze Stunde Öffnung der 
Brücke eine Gebühr von einem Fran 
ken. Die Kosten für die Erstellung 
des Glockenzuges wurden der Ge 
meinde Balzers auferlegt. Dies wie 
derum veranlasste die Ortsvorste- 
hung Balzers, dem Zollamt in Trüb 
bach mitzuteilen, dass sie gar kein 
Gesuch um Erstellung eines solchen 
Glockenzuges eingereicht habe und 
deshalb auch den Glockenzug nicht 
erstellen lasse. Die liechtensteinische 
Regierung äusserte allerdings gegen 
über der Direktion des Zollkreises III 
in Chur, die Angaben der Ortsvorste- 
hung Balzers träfen nicht zu, der 
Glockenzug sei bereits erstellt. 
Dass selbst die gemeindeeigenen Po 
lizeiorgane mit den jungen Balznern 
ihre Mühe hatten, geht aus folgender 
Meldung hervor: Im Sommer 1915
	        

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