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Reislaufen und fremde Dienste
Elmar Bürzle und Arthur Brunhart
Das Söldnerwesen (Reislaufen) hat im
Alpenraum eine lange, schon in die
Römerzeit zurückreichende Traditi
on. In Mittelalter und Neuzeit betätig
ten sich Adelige aus unserer Region
(so die Grafen von Montfort, Werden
berg, Sulz, Hohenems) als Söldner
führer. Als sich seit dem 14. Jahrhun
dert rund um den Alpenraum Terri
torialherrschaften zu bilden began
nen, stieg die Nachfrage nach Solda
ten, zumal die Bauern vom Waffen
dienst meist ausgeschlossen waren.
Besonders in Italien bestand ein Man
gel an Söldnern. Die Eidgenossen
schaft sprang in diese «Marktlücke».
Das Reislaufen selbst beruhte damals
nicht auf wirtschaftlicher Notwendig
keit. Die Beweggründe waren viel
mehr das Abenteuer, die Beute, Ruhm
und Ehre. Ob man einen Raubzug
«zum Grenznachbarn unternahm, um
von ihm eine Brandschatzung zu er
pressen, oder ob man nach Italien rei
ste und von einem fremden Fürsten
Geld entgegennahm, damit man des
sen Feinde totschlug und ausplünder
te, machte aus der Sicht» des Söldners
keinen Unterschied (Meyer). Die Un
stetigkeit des Söldnerhandwerks liess
einen eigenen Lebensstil entstehen.
Die Tage bis zum nächsten Gefecht
waren ausgefüllt mit «Fressen, Sau
fen, Huren», mit Raufhändeln, Wür
fel- und Kartenspiel. Die Schweizer
Reisläufer waren für ihre Untaten be
rüchtigt, noch heute gilt im französi
schen Burgund der Name «Suisse» als
Kinderschreck.
Die Ausbreitung des Reislaufens wur
de in der Schweiz schliesslich ein Po
litikum: Wer durfte werben, wer
nicht, welche Bedingungen waren
daran geknüpft? Man schloss mit dem
Ausland Soldverträge (Kapitulatio
nen) ab. Die ausländischen Fürsten
durften in der Eidgenossenschaft wer
ben, dafür zahlten sie an einfluss
reiche Persönlichkeiten beträchtliche
Summen. Diese Personen suchten den
Söldnermarkt unter ihre Kontrolle zu
bekommen und gleichzeitig, weil es
das vermögenbildende Geschäft der
politischen Führungsschicht unter
lief, das freie Reislaufen zu unterbin
den.
Der Boom der Reisläuferei führte seit
dem Beginn des 16. Jahrhunderts zu
starker Kritik, andererseits wurde sie
romantisierend verklärt. Jedenfalls
verknappten die Solddienste die Ar
beitskräfte, sie sorgten für steigende
Löhne. Beim Abschluss von Soldver
trägen erhielt die Schweiz bedeutende
Wirtschaftsprivilegien. Die Verträge
sahen vor, dass die Söldner entlassen
werden mussten, wenn die Eidgenos
senschaft selbst in einen Krieg verwik-
kelt werden sollte. Es lag also im Inter
esse aller europäischen Mächte, in
deren Diensten Schweizer standen,
die Eidgenossenschaft aus bewaffne
ten Konflikten herauszuhalten. Der
Jahrhunderte dauernde Friede für die
Eidgenossenschaft, das «Schweizer
glück» genannt, ist, wie Meyer fest
stellt, «mit dem Blut der Schweizer
Söldner auf den Schlachtfeldern Eu
ropas bezahlt worden».
Insgesamt entwickelte sich das Söld
nerwesen in der Schweiz zu einem
wichtigen Erwerbszweig. Um 1750
standen 78500 Schweizer in fremden
Diensten: in Frankreich, Holland,
Neapel, Sardinien-Piemont, Spanien,
beim Papst und in Österreich, auch in
anderen Staaten wie Preussen. Der
Söldner bekam ein Handgeld, Sold
und Beuteanteil, die Offiziere erhiel
ten Entschädigungen und hatten den
Gewinn, den sie aus der Verwaltung
ihrer Truppeneinheiten erwirtschaf
teten, die Regierungen schliesslich
wurden mit Pensionen und Gratifika
tionen zufriedengestellt. Im späten 18.
Jahrhundert nahm das materielle In
teresse an den Solddiensten aus ver
schiedenen Gründen stetig ab. Die
Schweizer Bundesverfassung von 1848
verbot die fremden Dienste, abge
sehen vom Solddienst in der Schwei
zergarde des Vatikans.
Die Werbung der Söldner
Der Inhaber eines Regiments war ein
quasi vom Staat beauftragter Sold
unternehmer; er warb die Leute und
bezahlte sie. Eine wichtige Rolle
spielte der Hauptmann als der Be
fehlshaber einer Kompanie, die etwa
150 bis 200 Mann umfasste. Wenn ein
Soldat desertierte, fiel oder krank
starb, verfiel sein Sold dem Inhaber
der Kompanie; Hauptmänner warfen
ihre Truppen deshalb oft «mutig» in
die Schlacht. Die Löhne der Söldner
waren, wie aus Gehaltslisten (Spre
cher, Küng) hervorgeht, ansehnlich.
Ein Wachtmeister verdiente etwa das
Dreifache eines gemeinen Soldaten,
Offiziere ein Vielfaches.
Geworben werden durfte an sich nur
mit obrigkeitlicher Genehmigung.
Die in fremden Diensten stehenden
Regimentsinhaber schickten meist
einen Offizier in die Heimat, um die
Abgänge an Soldaten durch Neu
werbungen zu ersetzen. Der Werber
residierte in einer Wirtschaft und war
angewiesen, auf die durch ein Hand
geld verpflichteten Rekruten und Ve
teranen ein wachsames Auge zu ha
ben, bis sie sich unter Aufsicht auf
dem Weg zum Regiment befanden.
Schon seit dem 15. Jahrhundert zo
gen Werber landauf und landab, um
«unter Trommelrühren» ihre Kund
schaft zu suchen. Sie tauchten «vor
allem bei Jahrmärkten und Festen
und in Wirtshäusern auf, wo immer
junge Leute zu finden waren, verspra
chen ihnen das Blaue vom Himmel
und gaben reichlich Handgeld - und
schon waren ihre Opfer sozusagen
Gefangene des Regiments» (Seger).
Der Werber durfte es «an Essen und
Trinken und Weibern nicht mangeln»
lassen. Wenn bekannt wurde, dass
Werbungen anstanden, strömten jun-