Volltext: Balzner Neujahrsblätter (1997) (1997)

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Reislaufen und fremde Dienste 
Elmar Bürzle und Arthur Brunhart 
Das Söldnerwesen (Reislaufen) hat im 
Alpenraum eine lange, schon in die 
Römerzeit zurückreichende Traditi 
on. In Mittelalter und Neuzeit betätig 
ten sich Adelige aus unserer Region 
(so die Grafen von Montfort, Werden 
berg, Sulz, Hohenems) als Söldner 
führer. Als sich seit dem 14. Jahrhun 
dert rund um den Alpenraum Terri 
torialherrschaften zu bilden began 
nen, stieg die Nachfrage nach Solda 
ten, zumal die Bauern vom Waffen 
dienst meist ausgeschlossen waren. 
Besonders in Italien bestand ein Man 
gel an Söldnern. Die Eidgenossen 
schaft sprang in diese «Marktlücke». 
Das Reislaufen selbst beruhte damals 
nicht auf wirtschaftlicher Notwendig 
keit. Die Beweggründe waren viel 
mehr das Abenteuer, die Beute, Ruhm 
und Ehre. Ob man einen Raubzug 
«zum Grenznachbarn unternahm, um 
von ihm eine Brandschatzung zu er 
pressen, oder ob man nach Italien rei 
ste und von einem fremden Fürsten 
Geld entgegennahm, damit man des 
sen Feinde totschlug und ausplünder 
te, machte aus der Sicht» des Söldners 
keinen Unterschied (Meyer). Die Un 
stetigkeit des Söldnerhandwerks liess 
einen eigenen Lebensstil entstehen. 
Die Tage bis zum nächsten Gefecht 
waren ausgefüllt mit «Fressen, Sau 
fen, Huren», mit Raufhändeln, Wür 
fel- und Kartenspiel. Die Schweizer 
Reisläufer waren für ihre Untaten be 
rüchtigt, noch heute gilt im französi 
schen Burgund der Name «Suisse» als 
Kinderschreck. 
Die Ausbreitung des Reislaufens wur 
de in der Schweiz schliesslich ein Po 
litikum: Wer durfte werben, wer 
nicht, welche Bedingungen waren 
daran geknüpft? Man schloss mit dem 
Ausland Soldverträge (Kapitulatio 
nen) ab. Die ausländischen Fürsten 
durften in der Eidgenossenschaft wer 
ben, dafür zahlten sie an einfluss 
reiche Persönlichkeiten beträchtliche 
Summen. Diese Personen suchten den 
Söldnermarkt unter ihre Kontrolle zu 
bekommen und gleichzeitig, weil es 
das vermögenbildende Geschäft der 
politischen Führungsschicht unter 
lief, das freie Reislaufen zu unterbin 
den. 
Der Boom der Reisläuferei führte seit 
dem Beginn des 16. Jahrhunderts zu 
starker Kritik, andererseits wurde sie 
romantisierend verklärt. Jedenfalls 
verknappten die Solddienste die Ar 
beitskräfte, sie sorgten für steigende 
Löhne. Beim Abschluss von Soldver 
trägen erhielt die Schweiz bedeutende 
Wirtschaftsprivilegien. Die Verträge 
sahen vor, dass die Söldner entlassen 
werden mussten, wenn die Eidgenos 
senschaft selbst in einen Krieg verwik- 
kelt werden sollte. Es lag also im Inter 
esse aller europäischen Mächte, in 
deren Diensten Schweizer standen, 
die Eidgenossenschaft aus bewaffne 
ten Konflikten herauszuhalten. Der 
Jahrhunderte dauernde Friede für die 
Eidgenossenschaft, das «Schweizer 
glück» genannt, ist, wie Meyer fest 
stellt, «mit dem Blut der Schweizer 
Söldner auf den Schlachtfeldern Eu 
ropas bezahlt worden». 
Insgesamt entwickelte sich das Söld 
nerwesen in der Schweiz zu einem 
wichtigen Erwerbszweig. Um 1750 
standen 78500 Schweizer in fremden 
Diensten: in Frankreich, Holland, 
Neapel, Sardinien-Piemont, Spanien, 
beim Papst und in Österreich, auch in 
anderen Staaten wie Preussen. Der 
Söldner bekam ein Handgeld, Sold 
und Beuteanteil, die Offiziere erhiel 
ten Entschädigungen und hatten den 
Gewinn, den sie aus der Verwaltung 
ihrer Truppeneinheiten erwirtschaf 
teten, die Regierungen schliesslich 
wurden mit Pensionen und Gratifika 
tionen zufriedengestellt. Im späten 18. 
Jahrhundert nahm das materielle In 
teresse an den Solddiensten aus ver 
schiedenen Gründen stetig ab. Die 
Schweizer Bundesverfassung von 1848 
verbot die fremden Dienste, abge 
sehen vom Solddienst in der Schwei 
zergarde des Vatikans. 
Die Werbung der Söldner 
Der Inhaber eines Regiments war ein 
quasi vom Staat beauftragter Sold 
unternehmer; er warb die Leute und 
bezahlte sie. Eine wichtige Rolle 
spielte der Hauptmann als der Be 
fehlshaber einer Kompanie, die etwa 
150 bis 200 Mann umfasste. Wenn ein 
Soldat desertierte, fiel oder krank 
starb, verfiel sein Sold dem Inhaber 
der Kompanie; Hauptmänner warfen 
ihre Truppen deshalb oft «mutig» in 
die Schlacht. Die Löhne der Söldner 
waren, wie aus Gehaltslisten (Spre 
cher, Küng) hervorgeht, ansehnlich. 
Ein Wachtmeister verdiente etwa das 
Dreifache eines gemeinen Soldaten, 
Offiziere ein Vielfaches. 
Geworben werden durfte an sich nur 
mit obrigkeitlicher Genehmigung. 
Die in fremden Diensten stehenden 
Regimentsinhaber schickten meist 
einen Offizier in die Heimat, um die 
Abgänge an Soldaten durch Neu 
werbungen zu ersetzen. Der Werber 
residierte in einer Wirtschaft und war 
angewiesen, auf die durch ein Hand 
geld verpflichteten Rekruten und Ve 
teranen ein wachsames Auge zu ha 
ben, bis sie sich unter Aufsicht auf 
dem Weg zum Regiment befanden. 
Schon seit dem 15. Jahrhundert zo 
gen Werber landauf und landab, um 
«unter Trommelrühren» ihre Kund 
schaft zu suchen. Sie tauchten «vor 
allem bei Jahrmärkten und Festen 
und in Wirtshäusern auf, wo immer 
junge Leute zu finden waren, verspra 
chen ihnen das Blaue vom Himmel 
und gaben reichlich Handgeld - und 
schon waren ihre Opfer sozusagen 
Gefangene des Regiments» (Seger). 
Der Werber durfte es «an Essen und 
Trinken und Weibern nicht mangeln» 
lassen. Wenn bekannt wurde, dass 
Werbungen anstanden, strömten jun-
	        

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