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Der Rhein im Spätmittelalter:
Grenze oder Verbindung?
Von der Funktion des Rheins als politische und landwirtschaftliche Grenze
im 15. und 16. Jahrhundert
Mathias Bugg
Zwischen Balzers und seinen Schwei
zer Nachbarn jenseits des Rheins be
stehen gute Beziehungen. Dies ist
nicht erst heute so, sondern bereits
seit vielen Jahrhunderten der Fall.
Eine besondere Bedeutung im Zu
sammenleben der verschiedenen Dör
fer kommt dabei dem Rhein zu. Wer
den Fluss zwischen Balzers-Wartau
und Bendern-Haag heute betrachtet,
nimmt ihn ohne weitere Frage als
Grenze wahr. Auch wenn für viele
Bewohner links- und rechtsrheini
scher Gebiete der Rhein keine Schran
ke im alltäglichen Leben darstellt; Der
Fluss bildet hier doch politische
Trennlinie zwischen der Schweiz und
dem Fürstentum Liechtenstein.
Dieses heutige Bild unterscheidet sich
wesentlich von jenem vor 500 Jahren.
Im folgenden Aufsatz soll deshalb dar
gestellt werden, inwiefern der Rhein
bereits im Spätmittelalter eine Funk
tion als Grenze wahrnahm. Welche
Faktoren wirkten am Rhein trennend
und damit grenzbildend? Der Zeit
raum bleibt hier auf das 15. und 16.
Jahrhundert beschränkt. In einem
späteren Beitrag können allenfalls die
Herausbildung der eigentlichen Lan
desgrenze sowie die damit im Zusam
menhang stehenden Konflikte be
schrieben werden.
Der «Talvogt Rhein» bestimmt über
das Leben seiner Bewohner
Im Rheintal kennt man drei Landes
nöte; den Rhein, Rüfen von reis
senden Gebirgsbächen und den Föhn.
Bereits aus dem 14. Jahrhundert, 1343
und 1374, sind uns erste schriftliche
Erwähnungen von Rheinüberschwem
mungen bekannt. Danach werden die
überlieferten Angaben stets zahlrei
cher. Ab 1439 hat man schriftliche
Kenntnis vom Wuhren einzelner Dör
fer des Rheintals, also von Mass
nahmen gegen Überschwemmungen.
Daraus entstanden zahlreiche Strei
tigkeiten, die bis ins 20. Jahrhundert
hinein nicht mehr abbrechen. Der
Rhein bestimmt zum Teil noch heute
nicht nur über die Topographie des
Tals, sondern damit zusammen eben
so über Wirtschaft, Nutzungen und
über die erwähnten nachbarschaftli
chen Beziehungen.
Früher konnte der Rhein bei Hoch
wasser fast die ganze Talbreite ein
nehmen. Ungehindert suchte sich das
Wasser zwischen dem mitgeführten
Geschiebe auf weitem, steinigem Ge
lände seinen Weg. Es war der Weg des
geringsten Widerstandes. Das Wasser
floss natürlich nicht kanalisiert, son
dern in mehreren grösseren und klei
neren Rinnsalen. Für uns ist heute
kaum mehr vorstellbar, dass der
Rhein eine Breite von 1200 Metern
aufweisen könnte! Rheineinbrüche
zerstörten jeweils Wies- und Acker
land und brachten Schäden an Feld
früchten. Auch die vorhandenen
Strassen waren gefährdet.
Links- und rechtsrheinische Gebiete
waren stark miteinander verbunden
Noch im 13. Jahrhundert, vor den vie
len Erbteilungen im Hause der Grafen
von Montfort (mit ihren Linien von
Werdenberg, Sargans und Vaduz),
wurden links- und rechtsrheinische
Gebiete der Herrschaft als zusam
menhängend betrachtet. Die beiden
Brüder Graf Hugo I. von Werdenberg
und Heiligenberg (gest. 1280) sowie
Graf Hartmann I. von Werdenberg
und Sargans (gest. vor 1271) besassen
vermutlich ab 1258 den südlichen Teil
des einstigen Montforter Besitzes ge
meinsam: das Sarganserland, Wer
denberg, den südlichen Teil des heuti
gen Liechtensteins (mit Balzers), das
Montafon, das Klostertal und den
Walgau bis zur Grenze von Jagdberg.
Auch durch den Verkehr waren die
Regionen stark miteinander verbun
den;
- Mit Flössen: Bei Trübbach lag eine
wichtige Haltestelle für Holztrans
porte aus Graubünden in Richtung
Bodensee.
- Mit Fähren: Zur Überquerung des
Flusses bestanden im Spätmittelal
ter je ein Fährbetrieb am Schollberg
zwischen Balzers und Trübbach,
zwischen Bendern und Haag und
zwischen Ruggell und Salez. Die
Fähren hatten wirtschaftliche und
verkehrspolitische Bedeutung.
- Durch Furten: In Zeiten mit Niedrig
wasser konnte der Rhein an seich
ten Stellen, an sog. Furten, durch
watet werden. Allerdings waren dies
unsichere Übergänge und für Wa
gen nicht geeignet, weil ihr Grund
oft zu wenig belastbar war. Auf der
bildlichen Darstellung der Schlacht
bei Triesen anno 1499 in der Chro
nik von Johann Stumpf (1547) über
queren eidgenössische Truppen wa
tend den Rhein. In Nikolaus Schra-
dins Schweizer Chronik (1500) ste
hen kämpfende Truppen bei Maien
feld im Rheinwasser. Auch wenn
diese Chronikbilder keine realen
Abbilder der Landschaft sind, zei
gen sie immerhin, dass der Fluss
kein unüberwindbares Hindernis
sein konnte.
- Mit Brücken: Erst 1529 wurde die Tar-
disbrücke bei Malans errichtet. Sie
blieb jahrhundertelang der einzige
dauerhafte Übergang; bis in die
zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts
konnte keine neue permanente
Brücke erstellt werden. Zeitweise
konnte bei der Rheinfähre Balzers-
Trübbach im Winter eine sog. Win
terbrücke über den Rhein gelegt
werden. Vor dem Hochwasser im
Frühling konnte sie sich aber nicht
behaupten und wurde stets wieder
abgebrochen oder fortgeschwemmt.