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nicht immer gleich augenfälligen,
aber substantiellen Wandel der inne
ren Welt, der Vorstellung und Lebens
art.
Wandel der Lebenswelt
Eine Schrift, die 1976 zu Ehren des
Industriepioniers Max Auwärter er
schienen ist, trägt den Titel: «Balzers
- vom Bauerndorf zur Industrie
gemeinde». Diese Überschrift fasst
den Weg des Dorfes in den letzten
Jahrzehnten plakativ zusammen. Sie
beinhaltet das Wachstum und die
Veränderungen der Ortschaft, in der
immer wieder der Ruf nach Erhaltung
des weithin schon verlorenen Dorf
charakters ertönt.
Der wirtschaftliche Rahmen
Die Nachkriegszeit bescherte unserer
Gemeinde - wie auch dem ganzen
Land - einen wirtschaftlich-materiel
len Aufstieg, der auf verschiedenen
Fundamenten beruhte und dessen
Folgen zunehmend alle Bereiche des
Lebens betrafen. In unserem Raum
entwickelte sich eine unerhörte Dyna
mik und Mobilität, deren Tempo Kon
sequenzen und langfristige Folgen
vorerst überdeckte. Die Industrie
wirtschaft und in ihrem Gefolge der
entstehende Wohlfahrtsstaat befrei
ten von vielen Zwängen und ermög
lichten es, die meisten Aufgaben, die
der Dorfgemeinschaft und ihren ein
zelnen Mitgliedern oblagen, der Ge
meinde und ihren Angestellten zu
übertragen.
Er-werhswelt
Das Wirtschaftswachstum der Nach
kriegszeit veränderte zwangsläufig
auch die Erwerbswelt grundlegend.
Nur ein vergleichsweise geringer Teil
der Dorfbevölkerung blieb in den
kleingewerblichen oder landwirt
schaftlichen Produktionsformen der
Vergangenheit tätig, während eine
wachsende Zahl von Männern und
Frauen in grösseren Betrieben und
Unternehmen Arbeit suchte.
Landwirtschaft
Die herkömmliche Landwirtschaft
geriet mit der Entstehung der Kon
sumgesellschaft unter einen gewalti
gen Veränderungs- und Leistungs
druck. Die Bauern wurden zuneh
mend zu Nebenerwerbsbauern, wo
bei in unseren Breitengraden der Ver
dienst neben dem landwirtschaftli
chen Einkommen eine weit längere
Tradition hat. Auch im vergangenen
Jahrhundert hatte die Landwirtschaft
den Lebensbedarf vielerorts nicht zu
decken vermocht, so dass auswärts
Saisonarbeit gesucht und Jugendliche
verdingt werden mussten. Die Ten
denz zum eigentlichen Nebener
werbsbauerntum verstärkte sich je
doch, bis die nichtbäuerliche Er
werbsmöglichkeit in Gewerbe und In
dustrie wie an anderen Orten nur noch
eine Übergangsphase zur gänzlichen
Aufgabe des bäuerlichen Betriebes bil
dete. Die bäuerliche Arbeit wurde lan
ge neben dem eigentlichen Erwerb
beibehalten, obwohl der Nebener
werbsbauernhof zunehmend unrenta
bel wurde und damit ein mehr oder
minder grosser Teil des Hauptein
kommens ohne Aussicht auf grösseren
Ertrag in den Hof - besonders in Ma
schinen - investiert werden musste.
Dieser Umstand weist darauf hin, dass
es für viele Menschen gerade der älte
ren und mittleren Generation inner
lich schwer war, die überkommene,
mit dem Land verbundene Tätigkeit
aufzugeben. Das leistungsbezogene
Profitdenken hatte noch nicht durch
geschlagen.
Der überlebende Bauernhof dagegen
wurde zum leistungsorientierten und
gleichzeitig subventionierten Land
wirtschaftsbetrieb. Die Zahl der Bau
ernhöfe ging von 259 im Jahr 1955 auf
51 Voll- und Nebenerwerbsbetriebe
im Jahr 1990 zurück. Der ehemals
breite Einsatz menschlicher Arbeits
kraft in der Bauernsame erfuhr eine
entsprechend massive Reduktion , be
gleitet von einer geradezu dramatisch
anmutenden Steigerung der Erträge
und Leistungsbilanzen. Die Menge der
an die Milchzentralen in Mäls und
Balzers abgelieferten Milch stieg von
knapp 393’000 kg 1949 auf annähernd
1’200 000 kg im Jahr 1984. Auch die
Kulturlandschaften wurden in ihrem
äusseren Erscheinungsbild und als
ökologische Systeme tiefgreifend ver
ändert.
Industrie und Gewerbe
Im industriell-gewerblichen Sektor
stieg die Anzahl der Erwerbstätigen
nach dem Zweiten Weltkrieg stark an.
Die Anzahl der Betriebe blieb lange
relativ konstant, jedoch vergrösserte
sich der einzelne Betrieb. Bis in die
Kriegsjahre hinein hatte nur die von
Hans Tribelhorn gegründete und zeit
weilig im Amtshaus produzierende
Textilfirma als industrielles Unter
nehmen bestanden, jedoch eine ganze
Reihe von kleinen Gewerbebetrieben.
Deren Anzahl stieg von 132 im Jahr
1945 auf 201 im Jahr 1991. Balzers
zählte 1941 insgesamt 664 Beschäftig
te, bis 1960 erhöhte sich die Zahl auf
936 und danach kontinuierlich weiter
bis auf 2362 Arbeitnehmer/innen im
Jahr 1991 - das bei einer Gemeinde
bevölkerung von 3586. Es versteht
sich von selbst, dass diese Arbeitsplät
ze nur dank einer massiven Zuwande
rung von auswärtigen und ausländi
schen Arbeitskräften und dank des
wachsenden Einbezuges der Frauen
in den Arbeitsmarkt besetzt werden
konnten. Auf der anderen Seite wuch
sen Hand in Hand mit ökonomischem
Aufstieg und wirtschaftlicher Prospe
rität auch die Abhängigkeiten von
überregionalen und weltweiten
Marktkräften und damit die Gefähr
dung der Kontinuität dieses Erfolges.
Dies wurde auch in unserer Gemeinde
und in der Region spürbar, als das
starke Unternehmen Balzers AG in
jüngster Vergangenheit aus verschie
denen Gründen in Schwierigkeiten
geriet. Auch der Erfolg ist dem Wan
del unterworfen.
Dienstleistungen
Eine andere Komponente des wirt
schaftlichen Wandels im Erwerbsle
ben ist die Expansion des Dienstlei
stungssektors, der in unserer Gemein
de jedoch weniger stark vertreten ist
als etwa in Vaduz. Die Zunahme des
Dienstleistungssektors ist auch dar
auf zurückzuführen, dass ehemals in
nerbetrieblich erledigte Funktionen,
wie etwa Planung und Werbung, auf
grund der Bedürfnisse der Wirtschaft
ausgelagert wurden.
Einkommen und Steuern
Hand in Hand mit dieser Entwicklung
verbesserte sich die Einkommens
situation, was gleichzusetzen ist mit
einem Anstieg des Lebenshaltungs
niveaus, einer Verfeinerung der
Konsumgewohnheiten, mit der Er
leichterung der Arbeiten durch Ma
schinen. Immer mehr Leute konnten
sich ein Auto leisten, was als äusseres
Zeichen des Wohlstandes galt. Der
Fernseher, der in den frühen Sech
zigerjahren noch Seltenheitswert hat
te, eroberte bald alle Stuben.