Volltext: Balzner Neujahrsblätter (1995) (1995)

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nicht immer gleich augenfälligen, 
aber substantiellen Wandel der inne 
ren Welt, der Vorstellung und Lebens 
art. 
Wandel der Lebenswelt 
Eine Schrift, die 1976 zu Ehren des 
Industriepioniers Max Auwärter er 
schienen ist, trägt den Titel: «Balzers 
- vom Bauerndorf zur Industrie 
gemeinde». Diese Überschrift fasst 
den Weg des Dorfes in den letzten 
Jahrzehnten plakativ zusammen. Sie 
beinhaltet das Wachstum und die 
Veränderungen der Ortschaft, in der 
immer wieder der Ruf nach Erhaltung 
des weithin schon verlorenen Dorf 
charakters ertönt. 
Der wirtschaftliche Rahmen 
Die Nachkriegszeit bescherte unserer 
Gemeinde - wie auch dem ganzen 
Land - einen wirtschaftlich-materiel 
len Aufstieg, der auf verschiedenen 
Fundamenten beruhte und dessen 
Folgen zunehmend alle Bereiche des 
Lebens betrafen. In unserem Raum 
entwickelte sich eine unerhörte Dyna 
mik und Mobilität, deren Tempo Kon 
sequenzen und langfristige Folgen 
vorerst überdeckte. Die Industrie 
wirtschaft und in ihrem Gefolge der 
entstehende Wohlfahrtsstaat befrei 
ten von vielen Zwängen und ermög 
lichten es, die meisten Aufgaben, die 
der Dorfgemeinschaft und ihren ein 
zelnen Mitgliedern oblagen, der Ge 
meinde und ihren Angestellten zu 
übertragen. 
Er-werhswelt 
Das Wirtschaftswachstum der Nach 
kriegszeit veränderte zwangsläufig 
auch die Erwerbswelt grundlegend. 
Nur ein vergleichsweise geringer Teil 
der Dorfbevölkerung blieb in den 
kleingewerblichen oder landwirt 
schaftlichen Produktionsformen der 
Vergangenheit tätig, während eine 
wachsende Zahl von Männern und 
Frauen in grösseren Betrieben und 
Unternehmen Arbeit suchte. 
Landwirtschaft 
Die herkömmliche Landwirtschaft 
geriet mit der Entstehung der Kon 
sumgesellschaft unter einen gewalti 
gen Veränderungs- und Leistungs 
druck. Die Bauern wurden zuneh 
mend zu Nebenerwerbsbauern, wo 
bei in unseren Breitengraden der Ver 
dienst neben dem landwirtschaftli 
chen Einkommen eine weit längere 
Tradition hat. Auch im vergangenen 
Jahrhundert hatte die Landwirtschaft 
den Lebensbedarf vielerorts nicht zu 
decken vermocht, so dass auswärts 
Saisonarbeit gesucht und Jugendliche 
verdingt werden mussten. Die Ten 
denz zum eigentlichen Nebener 
werbsbauerntum verstärkte sich je 
doch, bis die nichtbäuerliche Er 
werbsmöglichkeit in Gewerbe und In 
dustrie wie an anderen Orten nur noch 
eine Übergangsphase zur gänzlichen 
Aufgabe des bäuerlichen Betriebes bil 
dete. Die bäuerliche Arbeit wurde lan 
ge neben dem eigentlichen Erwerb 
beibehalten, obwohl der Nebener 
werbsbauernhof zunehmend unrenta 
bel wurde und damit ein mehr oder 
minder grosser Teil des Hauptein 
kommens ohne Aussicht auf grösseren 
Ertrag in den Hof - besonders in Ma 
schinen - investiert werden musste. 
Dieser Umstand weist darauf hin, dass 
es für viele Menschen gerade der älte 
ren und mittleren Generation inner 
lich schwer war, die überkommene, 
mit dem Land verbundene Tätigkeit 
aufzugeben. Das leistungsbezogene 
Profitdenken hatte noch nicht durch 
geschlagen. 
Der überlebende Bauernhof dagegen 
wurde zum leistungsorientierten und 
gleichzeitig subventionierten Land 
wirtschaftsbetrieb. Die Zahl der Bau 
ernhöfe ging von 259 im Jahr 1955 auf 
51 Voll- und Nebenerwerbsbetriebe 
im Jahr 1990 zurück. Der ehemals 
breite Einsatz menschlicher Arbeits 
kraft in der Bauernsame erfuhr eine 
entsprechend massive Reduktion , be 
gleitet von einer geradezu dramatisch 
anmutenden Steigerung der Erträge 
und Leistungsbilanzen. Die Menge der 
an die Milchzentralen in Mäls und 
Balzers abgelieferten Milch stieg von 
knapp 393’000 kg 1949 auf annähernd 
1’200 000 kg im Jahr 1984. Auch die 
Kulturlandschaften wurden in ihrem 
äusseren Erscheinungsbild und als 
ökologische Systeme tiefgreifend ver 
ändert. 
Industrie und Gewerbe 
Im industriell-gewerblichen Sektor 
stieg die Anzahl der Erwerbstätigen 
nach dem Zweiten Weltkrieg stark an. 
Die Anzahl der Betriebe blieb lange 
relativ konstant, jedoch vergrösserte 
sich der einzelne Betrieb. Bis in die 
Kriegsjahre hinein hatte nur die von 
Hans Tribelhorn gegründete und zeit 
weilig im Amtshaus produzierende 
Textilfirma als industrielles Unter 
nehmen bestanden, jedoch eine ganze 
Reihe von kleinen Gewerbebetrieben. 
Deren Anzahl stieg von 132 im Jahr 
1945 auf 201 im Jahr 1991. Balzers 
zählte 1941 insgesamt 664 Beschäftig 
te, bis 1960 erhöhte sich die Zahl auf 
936 und danach kontinuierlich weiter 
bis auf 2362 Arbeitnehmer/innen im 
Jahr 1991 - das bei einer Gemeinde 
bevölkerung von 3586. Es versteht 
sich von selbst, dass diese Arbeitsplät 
ze nur dank einer massiven Zuwande 
rung von auswärtigen und ausländi 
schen Arbeitskräften und dank des 
wachsenden Einbezuges der Frauen 
in den Arbeitsmarkt besetzt werden 
konnten. Auf der anderen Seite wuch 
sen Hand in Hand mit ökonomischem 
Aufstieg und wirtschaftlicher Prospe 
rität auch die Abhängigkeiten von 
überregionalen und weltweiten 
Marktkräften und damit die Gefähr 
dung der Kontinuität dieses Erfolges. 
Dies wurde auch in unserer Gemeinde 
und in der Region spürbar, als das 
starke Unternehmen Balzers AG in 
jüngster Vergangenheit aus verschie 
denen Gründen in Schwierigkeiten 
geriet. Auch der Erfolg ist dem Wan 
del unterworfen. 
Dienstleistungen 
Eine andere Komponente des wirt 
schaftlichen Wandels im Erwerbsle 
ben ist die Expansion des Dienstlei 
stungssektors, der in unserer Gemein 
de jedoch weniger stark vertreten ist 
als etwa in Vaduz. Die Zunahme des 
Dienstleistungssektors ist auch dar 
auf zurückzuführen, dass ehemals in 
nerbetrieblich erledigte Funktionen, 
wie etwa Planung und Werbung, auf 
grund der Bedürfnisse der Wirtschaft 
ausgelagert wurden. 
Einkommen und Steuern 
Hand in Hand mit dieser Entwicklung 
verbesserte sich die Einkommens 
situation, was gleichzusetzen ist mit 
einem Anstieg des Lebenshaltungs 
niveaus, einer Verfeinerung der 
Konsumgewohnheiten, mit der Er 
leichterung der Arbeiten durch Ma 
schinen. Immer mehr Leute konnten 
sich ein Auto leisten, was als äusseres 
Zeichen des Wohlstandes galt. Der 
Fernseher, der in den frühen Sech 
zigerjahren noch Seltenheitswert hat 
te, eroberte bald alle Stuben.
	        

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