Paul Vogt
resses aus liechtensteinischer Sicht standen die tschechoslowakische
Bodenreform und die Konfiskationen aufgrund der BeneS-Dekrete. Die
Benes-Dekrete selber waren nicht Teil des Untersuchungsauftrags, son-
dern lediglich deren «Anwendung auf den Fürsten von Liechtenstein
und weitere liechtensteinische Staatsangehörige als Deutsche.»” Ein so
formulierter Arbeitsauftrag musste eine Gratwanderung sein.
Eine Zusammenfassung der einzelnen Beiträge würde den Rahmen
dieses Beitrags sprengen. Hier seien nur ein paar Zahlen und Fakten ge-
nannt: Die Bände 1 bis 4 enthalten insgesamt 61 Beiträge, davon entfal-
len 12 auf den ersten Band (Erinnerungsorte), 15 auf den zweiten (Kon-
tinuititen — Diskontinuititen), 18 auf den dritten (Kunst) und 16 auf den
vierten (Liechtenstein und Tschechien im 20. Jahrhundert). Insgesamt
erarbeiteten 52 Personen einen oder mehrere Aufsätze, davon 38 For-
schende aus Tschechien, acht aus Wien, vier aus Liechtenstein, eine aus
dem benachbarten Buchs und eine aus Frankreich. Alle Kommissions-
mitglieder verfassten auch selber Referate, was in einem gewissen Wider-
spruch zur Geschäftsordnung stand. Drei der vier Tagungen fanden in
Tschechien statt, eine in Wien. Von den 40 eingeladenen Diskutanten
kamen 27 aus Tschechien, 7 aus Wien, zwei aus Liechtenstein, eine aus
Paris. Der Schwerpunkt der Tagungen lag klar in Tschechien. Auffallend
ist, dass die tschechischen Beiträge mehrheitlich kulturhistorischen The-
men gewidmet sind (wofür die in die UNESCO-Welterbe-Liste einge-
tragene Kulturlandschaft Eisgrub und Feldsberg reichlich Stoff bot),
während die «liechtensteinischen» Forschenden einen Schwerpunkt im
20. Jahrhundert setzten. Bemerkenswert ist ferner, dass auch die tsche-
chischen Beiträge im Grundton liechtensteinfreundlich sind.
Die Arbeiten der Historikerkommission wurden in den liechten-
steinischen Zeitungen zwar wahrgenommen, lösten aber keine Reaktio-
nen aus. Die wichtigsten Gründe umschrieb Väclav Hortitka wie folgt:
«Während Liechtenstein und Schweizer Historiker auf eine Sprachbar-
riere stiessen, die ihnen die effektive Arbeit in tschechischen Archiven
unmöglich machten, zeigten wiederum tschechische Historiker an der
modernen Geschichte des Hauses Liechtenstein und der des Fürsten-
tums bis vor kurzem keinerlei Interesse.»® Weitere Ursachen waren
97 Geiger u. a., Synthesebericht, S. 21.
98 Hor¢icka, Einige grundlegende Probleme, S. 123.
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