Volksabstimmungen über die Verfassung
Staat auf zwei Träger aufteilte: den Fürsten und das Volk.!! Ein Vorzei-
chen für das Erstarken des Volkes als entscheidender Mitträger der
Staatsgewalt waren Volksabstimmungen, die bereits im Jahr 1919 durch-
geführt wurden.!? Der Ausnahmecharakter dieser Zeit zeigt sich daran,
dass es für solche Volksabstimmungen überhaupt keine gesetzliche
Grundlage gab. Dennoch wurden sie organisiert.
Von 1919 bis 2016 fanden in Liechtenstein zu 105 Vorlagen landes-
weite Volksabstimmungen statt. Hierbei werden alle Vorlagen, die ein-
zeln zur Abstimmung gelangten, gezählt. Im Falle etwa einer Initiative
und eines Gegenvorschlags oder im Falle von zwei gleichzeitig zur
Abstimmung gelangten Initiativen zum gleichen Sachverhalt werden
diese jeweils separat gezählt. Den Volksabstimmungen zugerechnet wird
hier auch die Konsultativabstimmung zur Einführung des Frauenstimm-
rechts im Jahr 1968.
Dieser Beitrag konzentriert sich auf Volksabstimmungen, die die
Verfassung betrafen. Ausgeklammert werden Abstimmungen über
Gesetze, über Finanzbeschlüsse des Landtages, über Staatsverträge oder
Personalplebiszite.'* Von den 105 Abstimmungen betrafen 33 die Verfas-
sung. Ihr Ursprung kann theoretisch sowohl eine Volks- oder Gemeinde-
initiative als auch ein Referendum oder ein Beschlusses des Landtags zur
Durchführung einer Volksabstimmung sein.!* Tatsächlich ist aber in kei-
11 Zu den Grundzügen der neuen Verfassung siehe Wille, Die liechtensteinische Staats-
ordnung, S. 143-236; ferner auch Kommentierungen zur Verfassung im Verfas-
sungskommentar, siehe www.verfassung.li.
12 Zwar bestand vor Erlass der Verfassung von 1921 keine gesetzliche Grundlage für
Volksabstimmungen, aber der stärkere Einbezug des Stimmvolkes entsprach dem
Zeitgeist. Allerdings teilte die Hofkanzlei des Fürsten in Wien dem Landesverweser
in Liechtenstein am 10. Februar 1919 mit, dass der Fürst die Volksabstimmungen
über das Wahlalter und die Abgeordnetenzahl sanktioniere, somit also eine Volks-
abstimmung hierüber zuliess. Siehe Quaderer-Vogt, Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 173.
13 Zwölf der 105 Abstimmungen betrafen Finanzbeschlüsse, 55 Gesetze, drei Staats-
verträge, eine Abstimmung ein Personalplebiszit über den Verbleib von Regie-
rungschef Peer im Amt (1921). Detaillierte Darstellung bei Marxer, Direkte Demo-
kratie (im Erscheinen); ferner Vogt, 125 Jahre Landtag, und Biedermann, 150 Jahre
Landtag; Daten zu den Volksabstimmungen seit 2002 auch unter www.ab
stimmung.li, ferner Abstimmungsresultate in: Amt für Statistik, Tabellen Kapitel 10
«Politik» (siehe Verzeichnis der Internetadressen am Ende dieses Beitrages).
14 Zu den Instrumenten der direkten Demokratie in Liechtenstein siehe Marxer, Di-
rekte Demokratie (2012); Marxer, Direkte Demokratie (2014); ferner auch die Kom-
mentierungen zu den einschlägigen Artikeln der Verfassung unter www.verfassung.li.
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