Von «bewegten Zeiten» und «Krisenzeiten»
Gute Geschichtsschreibung ist eine grosse Herausforderung. Ge-
schichtswissenschaft ist eine der anspruchsvollsten und faszinierendsten
geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Ereignisse und Entwicklungen,
den Menschen und sein Handeln in früheren Epochen und über Zeit-
räume hinweg zu erfassen und zu schildern, ist dabei nur eine Sache; der
Menschen Antriebe und Motivationen dann weitergehend zu erklären
oder gar zu werten, ist noch eine ganz andere. Mit welchen Massstäben
und Wertekategorien messen wir menschliches Verhalten in der Vergan-
genheit? Mit jenen unseres gegenwärtigen Welt- und Werteverständnis-
ses — oder den früher herrschenden? Und wie haben diese Wertvorstel-
lungen damals überhaupt ausgesehen? Allein die Beantwortung dieser
Frage ist schon tiefschürfende geisteswissenschaftliche Erkenntnisbemü-
hung über das Menschsein in dieser Welt.
Mit Geschichtsschreibung schaffen wir auch Geschichtsbilder, wo-
bei die Abgrenzung zum Geschichtenschreiben herausfordernd ist und
intellektuelle Disziplin, Ehrlichkeit mit sich selbst und Redlichkeit in
hohem Grade verlangt. Dieses Bemühen führt uns stets vor Augen, dass
wir vergangene Zeiten, Räume und Menschen immer wieder vor dem
Hintergrund unseres eigenen Weltbildes, Denkens und Wissens zu sehen
versucht sind, ja dem vielleicht gar nicht ganz auszuweichen vermögen.
Immer von neuem wird gefragt: Kann der Mensch aus der Ge-
schichte lernen? Ja, wenn er will! Doch meist können oder wollen es die
Menschen nicht, sei es aus Unkenntnis der Geschichte oder Bequem-
lichkeit, sei es aus der Ableitung einer Art «Menschenrecht», selber auch
Fehler machen und aus eigenen Erfahrungen lernen zu dürfen, so wie die
Vorfahren.
Kein Zeitalter der liechtensteinischen Vergangenheit hat unser heu-
tiges Bewusstsein von Herkunft und Identität so sehr und so unmittelbar
geprägt wie das 20. Jahrhundert, mit dessen erster schwieriger Hälfte sich
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