Ad fontes: Quellen-Editionstätigkeit
in Liechtenstein
Claudius Gurt
Definiert man «Geschichte» als «die Gesamtheit menschlicher Lebens-
äusserungen der Vergangenheit, soweit sie Aussagewert für einen kultu-
rellen Zusammenhang besitzen», kann man der daraus gezogenen Folge-
rung: «Ihre Kenntnis verleiht unserem Weltbild eine zeitliche Tiefen-
struktur und damit eine Dimension, die ein Verständnis der Gegenwart
allererst ermöglicht»! voll und ganz und guten Gewissens zustimmen.
Wenn es also gilt, unsere Gegenwart aus der Vergangenheit zu begreifen,
ist historisches Wissen gefragt, das sich in Sachquellen und Dokumenten
finden lässt, in Gegenständen und Schriftzeugnissen also, die uns Aus-
kunft über Begebenheiten und Handlungen geben können. Während sich
der Archäologe mit wissenschaftlicher Akribie bemüht, die mitunter erst
mühsam ans Tageslicht geförderten Sachobjekte zum Reden zu bringen,
kann sich der Historiker in seiner Deutungsarbeit einer möglichen Ver-
gangenheit vielfach und weitaus bequemer auf Schriftquellen stützen. Be-
quemer? Wer schon einmal etwa eine mittelalterliche Urkunde, ein früh-
neuzeitliches Tauf- oder Sterberegister oder auch einen zeitgenössischen
Privatbrief in Händen hielt, wird eingedenk seiner Entzifferungsbemü-
hungen unter Umständen mit einem leicht gequälten Lächeln bemerken:
«Von wegen bequemer!», und sich darüber hinaus fragen: «Wo in aller
Welt finde ich die für mich interessanten Texte?» Dieser Geschichtsinte-
ressierte wird sich also auf die Suche machen und wenn er Glück hat,
wird ihn die Muse Klio zu Texteditionen führen, die ihn hörbar aufatmen
und befriedigend feststellen lassen, dass der ihm zur Verfügung gestellte,
nach wissenschaftlichen Kriterien edierte Text es ihm erlaubt, ohne die
nicht selten schwierige und zeitraubende Entzifferungsarbeit sich voll
und ganz der Interpretation seiner Quelle widmen zu können.
1 Demandt, Alexander. Philosophie der Geschichte. Köln / Weimar / Wien 2011, 5. 28.
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