Volltext: Die liechtensteinische Staatsordnung

Die einzelnen politischen Rechte 
regel zwischen Staatsvertrags- und Verfassungsrecht aufstellen kann. Es 
fehlt eine entsprechende verfassungsrechtliche Normierung. Aus diesem 
Grund stellt sich in Bezug auf Verfassungsinitiativen die Frage, inwieweit 
bestehende Staatsverträge Prüfungsmassstab sein können. 
Im Zusammenhang mit der Verfassungsrevision vom 16. März 
2003 ist die Regierung der Auffassung, dass die Verfassung einen allge- 
meinen Grundsatz, wonach das Völkerrecht dem innerstaatlichen Recht 
vorgeht, nicht kennt.!% Bisher war der Grundsatz des Vorrangs des Völ- 
kerrechts anerkannt.!S Ein Verfassungsrang völkerrechtlicher Verträge, 
die vom Landtag gemäss Art. 8 Abs. 2 LV genehmigt worden sind, wird 
nicht ausgeschlossen. 18 Sie nehmen im Landesrecht «zumindest Über- 
gesetzesrang»!® ein.!® Eine Änderung im Verhältnis von Staatsvertrags- 
recht und Verfassungsrecht brachte Art. 104 Abs. 2 LV. Danach fällt in 
die Kompetenz des Staatsgerichtshofes auch die Prüfung der Verfas- 
sungsmässigkeit von Staatsverträgen, was nichts anderes bedeutet, als 
dass die Verfassung gegenüber dem Staatsvertragsrecht Vorrang geniesst. 
Der Staatsgerichtshof setzt indes seine bisherige Grundrechtspraxis fort. 
Er stellt zwar fest, dass Art. 104 Abs. 2 LV Staatsverträgen nur «Unter- 
verfassungsrang» einräumt, ist jedoch der Auffassung, dass der Verfas- 
sung- bzw. Gesetzgeber damit nicht den dem Einzelnen bisher auch auf 
der Grundlage von Staatsverträgen gewährten Grundrechtsschutz ein- 
schränken wollte. Er leitet aus dem Staatsgerichtshofgesetz und seinen 
Materialien ab, dass weiterhin «auch andere Grundrechte, welche auf 
Staatsvertragsrecht beruhen, direkt als verfassungsmässige Rechte im 
Sinne von Art. 15 Abs. 1 SEGHG vor dem Staatsgerichtshof geltend 
gemacht werden können sollen».!?! 
Vorrang vor sämtlichen Verfassungsänderungen beansprucht das 
zwingende Völkerrecht im Sinne von Art. 53 WVK, zu dem auch das 
notstandsfeste EMRK-Recht zählt, wonach Initiativen, die gegen seine 
Inhalte verstossen, ungültig sind.!® So konstatierte die Regierung, als sie 
186 BuA Nr. 88/2002 der Regierung vom 1. Oktober 2002, 5. 7. 
187 Vgl. Diskussionspapier der Regierung vom 18. Dezember 1991, S. 10. 
188 StGH 1995/21, Urteil vom 23. Mai 1996, LES 1/1997, S. 18 (28). 
189 StGH 1999/28, Entscheidung vom 29. Februar 2000, LES 1/2003, S. 5. 
190 Siehe Stefan Becker, Völkerrecht und Landesrecht, 5. 275 ff. 
191 StGH 2004/45, Urteil vom 29. November 2004, 5. 12 Erw. 2.1 (im Internet abrufbar 
unter: <www.stgh.li>). 
192 Vgl. Bernhard Ehrenzeller / Rafael Brägger, Politische Rechte, S. 658 Rz. 42. 
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