Volltext: Beiträge zum liechtensteinischen Recht aus nationaler und internationaler Perspektive

noch mit der vorherrschenden Dominanz des Katholizismus vereinbar gewesen. Dass es in Liechtenstein so lange beim «altösterreichischen Recht des ABGB» blieb, veranlasste Franz Gschnitzer, den langjährigen Präsidenten des liechtensteinischen OGH, zu der Feststellung, dass sich hier «ein anderwärts verdrängter Rechtszustand finde, bei dem man beobachten könne, wie er sich auf kleinstem Gebiet behauptet».44Als sich jedoch die Situation im Ehe- und Familienrecht als zunehmend unvereinbar mit den gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen erwies, entschloss man sich Ende der 1960er Jahre schliesslich doch zur Schaf- fung eines zeitgemässen Eherechts, welche im Zusammenhang mit einer Revision des gesamten Familienrechts erfolgen sollte.45 Das erste Resultat der Reformbemühungen in dieser hochsensiblen Rechtsmaterie war das Ehegesetz (EheG) 1974,46bei dessen Ausgestal- tung die Eherechtsordnungen der Nachbarstaaten Österreich und Schweiz als Rezeptionsvorlagen herangezogen wurden. Das neue EheG brachte zwei für Liechtenstein gravierende Neuerungen: die Einführung der obligatorischen Zivilehe und die Möglichkeit der Ehescheidung, die bis dahin in Liechtenstein für Katholiken ausgeschlossen gewesen war. Da an dem Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe weiterhin festgehal- ten wurde (Art. 73 Abs. 1 EheG), konstruierte der Gesetzgeber die Scheidung allerdings als Ausnahme, die nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zugelassen wurde und nur bei einer totalen Zerstörung der Ehe als gerechtfertigt galt. Der Scheidung hatte ein Trennungsver- fahren vorauszugehen, das eine Trennung im streitigen Verfahren sowie eine dreijährige Trennungsfrist vorsah. Erst nach deren Ablauf konnte eine Scheidungsklage eingebracht werden. Ab der Rechtskraft des Schei- dungsurteils, das von dem scheidungsunwilligen Ehepartner durch einen Widerspruch gegen das Scheidungsbegehren allerdings noch um zwei weitere Jahre hinausgezögert werden konnte, bestand die Möglichkeit zur Wiederverehelichung.47Konsequenterweise kannte das liechtenstei- 247 
Das ABGB von 1938 bis 1945: Auswirkungen auf Liechtenstein? 44 Franz Gschnitzer, Liechtensteinisches Eherecht, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1955, S. 278 f. 45 Zur Entstehungsgeschichte des neuen Eherechts vgl. Berger, wie Fn. 6, S. 31 ff. 46 Ehegesetz (EheG) vom 13. 12. 1973, lLGBl. 1974 Nr. 20. Zu den dadurch bewirk- ten Neuerungen vgl. Herbert Wille, Das neue liechtensteinische Ehe-, Zivilstands- und Bürgerrecht, in: Zeitschrift für Zivilstandswesen 1975, S. 10 ff. 47 Peter Sprenger, Das Ehetrennungs- und Ehescheidungsrecht des Fürstentums Liechtenstein, Diss. Univ. Zürich, 1985, S. 77 ff.
	        

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