Die Menschenwürdegarantie in der liechtensteinischen Verfassung – Rechtsnatur, Norm struktur, Aussagegehalt Wolfram
Höfling I.Entstehungsgeschichte Bis zum Jahre 2005 kannte die liechtensteinische Verfassung – mit ihren unterschiedlichen dogmengeschichtlichen Schichten, europäischen Überlagerungen (durch die EMRK) und vorsichtigen Erweiterungen1– keine Garantienorm, die die Würde des Menschen unter verfassungs- rechtlichen Schutz nahm. Insofern kann das Fürstentum Liechtenstein durchaus als «Nachzügler» bezeichnet werden. Seit Mitte der 1970er- Jahre und erneut nach dem Zusammenbruch des ehemaligen Sowjetim- periums war es in vielen europäischen Staaten zur Aufnahme einer Men- schenwürdenorm in die Verfassung gekommen.2Die neue schweizeri- sche Bundesverfassung von 1999, die eine erhebliche Prägekraft für Liechtenstein ausübt, stellte in Art. 7 BV die Menschenwürde an die Spitze des Grundrechtskatalogs.3In Liechtenstein wurde dies erst durch das Verfassungsgesetz vom 27. November 2005 über die Abänderung der Verfassung vom 5. Oktober 1921 (Menschenwürde und Recht auf Leben) realisiert.4Ungewöhnlich war dabei der Anlass für die Einfü- gung an der Spitze des Grundrechtskatalogs: Die Verfassungsänderung 223
1Andreas Kley, Geschichtliche Entwicklung der Grundrechte in Liechtenstein, in: Kley/Vallender (Hrsg.), Grundrechtspraxis in Liechtenstein, 2012, S. 13 ff.; dies., Grundrechte in Liechtenstein – europäischer Kontext und Geschichte, in: Liechten- stein-Institut (Hrsg.), 25 Jahre Liechtenstein-Institut (1986–2011), 2011, S. 233 ff. 2Siehe dazu Stephan Kirste, Menschenwürde im internationalen Vergleich der Rechtsordnungen, in: Gröschner/Lembcke (Hrsg.), Das Dogma der Unantastbar- keit, 2009, S. 175 ff. 3Hier etwa Walter Haller, Menschenwürde, Recht auf Leben und persönliche Frei- heit, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. VII/2, 2007, § 209 Rn. 5. 4Siehe Liechtensteinisches Landesgesetzblatt Jahrgang 2005, Nr. 267, S. 101.