Volltext: Grundrechtspraxis in Liechtenstein

Zustellung der Ladung sowohl für die Schlussverhandlung (§ 37 Abs. 1 StPO) als auch für die Berufungsverhandlung (§ 228 StPO) in Strafsa- chen an den Angeklagten persönlich vorzunehmen ist.138 Der Anspruch auf ein faires Verfahren sowie der Anspruch auf rechtliches Gehör schliessen teilweise auch einen Anspruch auf ein öf- fentliches und mündliches Verfahren ein.139Dieser Anspruch gilt jedoch auch im Strafverfahren nicht für alle Instanzen. Eine Ausnahme besteht dann, wenn das erstinstanzliche Urteil im Instanzenzug zum Nachteil des Angeklagten abgeändert wird. Eine solche «reformatio in peius darf von Verfassungs- bzw. EMRK wegen nie ohne mündliche Verhandlung erfolgen».140Dieser aus dem rechtlichen Gehör bzw. dem Anspruch auf ein faires Verfahren abgeleitete Umfang des Mündlichkeitserfordernisses erscheint dem Staatsgerichtshof im Sinne eines grundrechtlichen Min- deststandards ohne Weiteres als ausreichend. Abgesehen von der refor- matio in peius muss es daher auch im Strafverfahren aus grundrechtli- cher Sicht genügen, wenn der Angeklagte in einer Instanz vom Gericht angehört wird und dabei die Möglichkeit hat, relevante Zeugen zu be- nennen und Fragen an Belastungszeugen zu stellen.141Aufgrund dieser Rechtsprechung ist aber gerade im Berufungsverfahren142nach der StPO zu berücksichtigen, dass eine mündliche Verhandlung, wenn eine solche in den Rechtsmittelinstanzen vorgesehen ist, öffentlich zu sein hat. Eine gesetzgeberische Notwendigkeit einer öffentlichen mündlichen Ver- handlung in den Rechtsmittelinstanzen folgt aber aus Art. 6 EMRK 462Tobias 
Michael Wille 138StGH 2005/21, Urteil vom 28. September 2005, <www.stgh.li>, S. 10 f. Erw. 2.1 ff. Das Recht auf Teilnahme und damit Art. 6 EMRK sind verletzt, wenn der Beschul- digte oder sein Verteidiger nicht ordnungsgemäss geladen sind. Meyer-Ladewig, EMRK, S. 152 Rz. 126. 139StGH 1998/28, Entscheidung vom 3. September 1998, nicht veröffentlicht, Erw. 5.2 unter Bezugnahme auf StGH 1996/6, LES 1997, S. 148 (152 Erw. 3.1); siehe einläss- lich zum Öffentlichkeits- und Mündlichkeitsprinzip Wille T., Verfassungsprozess- recht, S. 382 ff., und aus Sicht der EMRK Grabenwarter, EMRK, S. 369 ff. Rz. 72 ff.; vgl. aus der jüngeren Judikatur etwa StGH 2004/58, Urteil vom 4. November 2011, <www.stgh.li>, S. 27 ff. Erw. 3.1 ff., und StGH 2007/112, Urteil vom 29. Sep- tember 2011, <www.stgh.li>, S. 13 ff. Erw. 2.3 ff. 140StGH 1998/28, Entscheidung vom 3. September 1998, nicht veröffentlicht, Erw. 5.2. 141StGH 1998/28, Entscheidung vom 3. September 1998, nicht veröffentlicht, Erw. 5.2; vgl. dazu auch Frowein / Peukert, EMRK, S. 217 f. Rz. 194 ff. 142Dem Beschwerdefall zu StGH 1998/28 lag ein Revisionsverfahren zugrunde, wel- ches gemäss § 237 Abs. 1 StPO in der Regel nicht öffentlich ist, doch hat bei einer reformatio in peius zwingend eine mündliche Verhandlung zu erfolgen. 25
	        

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