Volltext: Grundrechtspraxis in Liechtenstein

sich beim Akteneinsichtsrecht um ein klassisches Freiheitsrecht und nicht vielmehr um ein Verfahrensgrundrecht bzw. um eine Verfahrens- garantie handelt. Der Staatsgerichtshof hatte in seiner Praxis schon mehrmals die in § 30 Abs. 2 StPO enthaltene Gesetzesgrundlage für die Akteneinsicht im Strafverfahren auf Grundrechtseingriffe hin zu prüfen und dabei festge- halten, dass die generelle Unzulässigkeit der Verweigerung der Akten- einsicht, unabhängig von der Schwere und den Besonderheiten des kon- kreten Strafverfahrens und der Art der zu befürchtenden Beeinträchti- gung der Strafverfolgung, dem öffentlichen Interesse an einer effizienten Strafverfolgung nicht gerecht werde. Ein durch die Verfassung geschütz- tes Recht auf umfassende Akteneinsichtnahme im Strafverfahren exis- tiert demnach nicht.121Für den Staatsgerichtshof ist nämlich § 30 Abs. 2 458Tobias 
Michael Wille 121StGH 2006/107, Urteil vom 4. Dezember 2007, nicht veröffentlicht, S. 7 f. Erw. 2.3. Diese Aussage des Staatsgerichtshofes ist auch im Hinblick auf seine eigene Recht- sprechung und hinsichtlich der Formulierung des § 30 Abs. 2 StPO, wonach der Untersuchungsrichter bis zur Mitteilung der Anklageschrift einzelne Aktenstücke von der Einsicht- und Abschriftnahme durch den Verteidiger oder Beschuldigten ausnehmen kann, wohl zu apodiktisch bzw. zu relativieren, denn in StGH 2008/122, Urteil vom 10. Februar 2009, <www.stgh.li>, S. 25 f. Erw. 3.1 führt er aus, dass es ohne Weiters zulässig ist, einem Beschuldigten die Einsicht in bestimmte Akten (je- denfalls bis zur Anklage) zu verweigern, und in StGH 2005/30, Urteil vom 3. Juli 2006, <www.stgh.li>, S. 19 f. Erw. 2.4 erinnert er an das aus Art. 6 Abs. 3 EMRK fliessende Akteneinsichtsrecht, das im frühen Verfahrensstadium ebenfalls Be- schränkungen unterliegen kann. Überdies ist in diesem Zusammenhang zu berück- sichtigen, dass es sich bei einem Strafverfahren um einen Prozess bzw. um ein Ver- fahren handelt, das sich aus verschiedenen Verfahrensabschnitten bzw. Verfahrens- stadien und Verfahrenshandlungen zusammensetzt. Die vom Staatsgerichtshof auf ihre Verfassungsmässigkeit zu überprüfende Einschränkung des Akteneinsichts- rechts kann sich daher auch auf eine bestimmte Verfahrenshandlung bzw. auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt eines Strafprozesses beziehen und damit die Frage des zeitlichen Geltungsbereichs tangieren. Vgl. dazu beispielsweise StGH 2002/1, Entscheidung vom 22. April 2002, nicht veröffentlicht, Erw. 3.1 f., wo der Staatsge- richtshof darauf hinweist, dass unter bestimmten Umständen eine vorläufige Ein- schränkung der Akteneinsicht untersuchungstechnisch notwendig sein kann. So auch StGH 2004/37, Urteil vom 20. Juni 2005, nicht veröffentlicht, Erw. 2.2; in StGH 2006/107, Urteil vom 4. Dezember 2007, nicht veröffentlicht, S. 7 f. Erw. 2.3 führt er aus, dass es durchaus zulässig ist, die Akteneinsicht kurzzeitig einzuschrän- ken, wenn ansonsten die Strafuntersuchung erschwert oder ganz verunmöglicht wird. Siehe auch Ritter, Akteneinsicht, S. 64 f., der festhält, dass nach der EMRK das Recht, die Strafakten einzusehen, spätestens nach Anklageerhebung gilt mit der Ein- schränkung, dass allenfalls Sicherheitsrisiken oder verwaltungstechnische Schwie- rigkeiten oder Geheimhaltungspflichten eine Einsichtnahme verhindern. 21
	        

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