Volltext: Grundrechtspraxis in Liechtenstein

6.Verwirkung von Ansprüchen nach Art. 33 Abs. 1 LV Der Staatsgerichtshof befasst sich mit einer Rüge wegen Verletzung des Anspruchs auf den unbefangenen Richter dann nicht, wenn ein entspre- chender Befangenheitsantrag im ordentlichen Verfahren nicht gestellt worden ist, da es in einem solchen Fall an der materiellen Ausschöpfung des (ordentlichen) Instanzenzuges fehlt.342Das schweizerische Bundes- gericht beurteilt solche Fälle in erster Linie nach dem Grundsatz von Treu und Glauben. Massgebend ist demnach, ob eine entsprechende Be- fangenheitsrüge zu einem früheren Zeitpunkt möglich und zumutbar ge- wesen ist. Es ist widersprüchlich und treuwidrig, Einwände erst nach Ergehen eines ungünstigen Entscheides zu erheben, wenn sie schon im vorangehenden Verfahren hätten erhoben werden können.343Dies setzt voraus, dass auch die Richter eines Verfahrens nach Treu und Glauben verpflichtet sind, alle Umstände bekanntzugeben bzw. offenzulegen, die bei den Parteien berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unbe- fangenheit des Gerichtes hervorrufen oder andere Beeinträchtigungen eines fairen Verfahrens darstellen könnten. Die Tatsache, dass im vorin- stanzlichen Verfahren keine Rügen erhoben worden sind, kann für sich allein nicht bedeuten, dass erst später erhobene Rügen verspätet oder rechtsmissbräuchlich sind. Eine Verwirkung der Ansprüche macht es vielmehr erforderlich, dass die Einlassung in Kenntnis des Mangels er- folgt.344Mit dieser Rechtsprechung stimmt weitgehend auch die Praxis des Staatsgerichtshofes überein. Sie verlangt einerseits die Bekanntgabe der personellen Zusammensetzung des Spruchkörpers und andererseits, 403 
Recht auf den ordentlichen Richter 342StGH 2010/153, Urteil vom 28. März 2011, nicht veröffentlicht, S. 7 Erw. 3.2; siehe auch StGH 2009/193, Urteil vom 19. Januar 2010, nicht veröffentlicht, S. 21 f. Erw. 3.4, und StGH 2006/30, Urteil vom 2. Oktober 2006, nicht veröffentlicht, S. 38 ff. Erw. 8.1; zur materiellen Ausschöpfung des (ordentlichen) Instanzenzuges siehe auch Wille T., Verfassungsprozessrecht, S. 568 ff., und StGH 2004/58, Urteil vom 4. November 2008, <www.stgh.li>, S. 32 f. Erw. 4.3 f. 343Siehe Müller / Schefer, Grundrechte, S. 952 ff. mit Rechsprechungsnachweisen. In diesem Sinne auch OGH, Beschluss des Präsidenten vom 21. März 2011 zu 05 CG.2010.24, <www.gerichtsentscheide.li>, S. 6 f. Dieser Beschluss wurde allerdings mittlerweile mit Urteil des Staatsgerichtshofes zu StGH 2011/69 wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aufgehoben. 344Vgl. Müller / Schefer, Grundrechte, S. 953 mit weiteren Rechtsprechungs- und Lite- raturhinweisen.83
	        

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