Volltext: Europäischer Föderalismus im Licht der Verfassungsgeschichte

Giovanni Biaggini 
hórden, die in Vollziehung von Bundesrecht ergehen, vor dem zuständi- 
gen kantonalen Verwaltungsgericht anzufechten und, erforderlichen- 
falls, den Instanzenzug bis zum Bundesgericht zu durchlaufen.? Das In- 
stitut der Behördenbeschwerde vereinigt die Aufsichtsfunktion mit einer 
neutralen richterlichen Kontrolle des Bundesrechtsvollzugs. Das System 
der Verwaltungsgerichtsbarkeit (Individualrechtsschutzsystem) wird auf 
diese unspektakuläre, alltagsorientierte, aber durchaus wirksame Weise 
in den Dienst der Bundesaufsicht gestellt. 
Bei einem Vergleich des EU-Justizsystems mit bundesstaatlichen 
Justizsystemen fällt auf, dass es keinen Instanzenzug herkömmlicher Art 
gibt, der von den obersten nationalen Gerichten zu einer Gerichtsin- 
stanz der EU führt. Zur Verfügung steht nur das Vorabentscheidungs- 
verfahren (Art. 267 AEUV). Dieses ist stark norm(konflikt)orientiert. 
Das konkrete Vollzugshandeln steht nicht im Vordergrund. Für Zwecke 
der «Unionsaufsicht» kann sodann im Prinzip auch das Vertragsverlet- 
zungsverfahren genutzt werden (Art. 258 AEUV). Dieses Verfahren ist 
freilich eher schwerfällig und aufwendig und für Zwecke der Gewähr- 
leistung eines unionsweit gleichmässigen Verwaltungsvollzugs in den 
Mitgliedstaaten wenig geeignet. Insgesamt lässt sich somit auch in der 
EU eine gewisse Indienstnahme des Rechtsschutzsystems für Aufsichts- 
zwecke konstatieren. Die Instrumentalisierung ist aber weniger ausge- 
prägt als in Bundesstaaten. Zudem trägt die aktuelle Ausgestaltung des 
EU-Rechtsmittelsystems den besonderen Bedürfnissen des Verwal- 
tungsvollzugs kaum Rechnung. Angesichts der wachsenden Bedeutung 
des administrativen Vollzugs von Unionsrecht durch mitgliedstaatliche 
Verwaltungsbehörden stellt sich die Frage, ob nicht über kurz oder lang 
Anpassungen am Justizsystem nötig sind, um die unionsweit gleichmäs- 
sige Anwendung des europäischen (Verwaltungs-)Rechts besser gewähr- 
leisten zu können. Die Frage hat eine gewisse Dringlichkeit. Denn je 
  
30 Art. 89 Abs. 2 des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) vom 17. Juni 2005 lautet: «Zur 
Beschwerde sind ferner berechtigt: a. die Bundeskanzlei, die Departemente des Bun- 
des oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die ihnen unterstellten Dienststellen, 
wenn der angefochtene Akt die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich ver- 
letzen kann; [...].» Art. 111 Abs. 2 BGG stellt die Beschwerdeführungsmöglichkeit 
auf kantonaler Ebene sicher: «Bundesbehórden, die zur Beschwerde an das Bundes- 
gericht berechtigt sind, können die Rechtsmittel des kantonalen Rechts ergreifen 
und sich vor jeder kantonalen Instanz am Verfahren beteiligen, wenn sie dies bean- 
tragen.» 
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