Rechtsetzung und Vollzug des Bundesrechts
hier näher auf Einzelheiten eingehen zu können, seien einige mögliche
Erklärungen genannt und kurz erörtert.
Handelt es sich um das Ergebnis einer nüchternen Abwägung der
Vor- und Nachteile? Dem Modell des indirekten Vollzugs wird attes-
tiert, 18
— dass der Vollzug bürgernäher sei und in Kenntnis örtlicher Gege-
benheiten erfolgen könne, was die Akzeptanz der getroffenen Ent-
scheidungen erhöhe;
— dass der Bund auf den zeit- und kostenintensiven Auf- und Ausbau
eigener Verwaltungsstrukturen verzichten könne;
— dass man häufig an vorbestehende gliedstaatliche Verwaltungsstruk-
turen anknüpfen und deren Vollzugserfahrung fruchtbar machen
könne; dies insbesondere in jenen Aufgabenbereichen, die nach ur-
sprünglicher Kompetenz- bzw. Arbeitsaufteilung bei den Glied-
staaten angesiedelt waren und erst in einer späteren Phase der bun-
desstaatlichen Rechtsentwicklung vom Bund aufgegriffen werden;
— dass generell die Problemlösungs- und Lernfähigkeit des Gesamt-
systems erhöht werde.
Wenn man sich die Liste der Vorzüge vor Augen führt, könnte man das
Modell des «Vollzugsföderalismus» als eine geglückte Synthese der fö-
deralistischer Staatsidee mit unitarischen Bedürfnissen (Rechtseinheit)
bezeichnen — «gelebte Subsidiaritàt» gewissermassen.
Warum aber folgt man in den USA nicht dem «vollzugsfóderalisti-
schen», sondern dem dualen Modell (Trennung der Verwaltungssphà-
ren)? So bedeutsam die genannten Vorzüge sein mögen: Die Beliebtheit
und weite Verbreitung des «vollzugsföderalistischen» Modells in Europa
lässt sich nicht allein mit den genannten Vorzügen erklären. Es muss
weitere Gründe geben.
Die Entscheidung für den indirekten Vollzug lässt sich auch als das
Ergebnis eines machtpolitischen Kompromisses verstehen. In der Ausei-
nandersetzung um die erste umfassende Verfassungsreform im schwei-
zerischen Bundesstaat (Totalrevision 1872/74) formte sich die Devise he-
raus:!? «Die Gesetzgebung dem Bund, der Vollzug den Kantonen.»
18 Näher dazu Biaggini, Theorie und Praxis (Anm. 11), S. 4 (mit weiteren Hinweisen).
19 Vgl. Eduard His, Geschichte des neuern schweizerischen Staatsrechts, Band III, Ba-
sel 1938, S. 425 f£., 674, 767 £., 1175 ff.
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