Volltext: Europäischer Föderalismus im Licht der Verfassungsgeschichte

Robert Schütze 
dition fusst auf der Idee der «geteilten» oder «doppelten» Souveränität. 
Die amerikanische Verfassung von 1787 — um es mit den Worten eines 
eminenten Berichterstatters auszudrücken — beruht auf dem Gedanken 
einer «Präsenz zweier Souveräne».88 
Wer sind diese zwei Souveräne? Nach der Idee der Volkssouverä- 
nität müssen dies die Gliedstaatenvôlker und das — verfassungspositivis- 
tisch vorausgesetzte — «amerikanische Volk» sein.® Jeder Bürger gehört 
zwei politischen Ordnungen an. Die Existenz zweier politischer «Sou- 
veräne» führt in weiterer Folge zu föderalen Verfassungskonflikten. 
Diese Verfassungskonflikte sollten nicht als Anomalie eines Bundes ver- 
standen werden. Im Gegenteil, sie sind normal und bezeugen eine /e- 
bendige Fôderalität.” 
Dieser Beitrag schaute sich zwei frühe Verfassungskonflikte der 
Vereinigten Staaten an. Die Verfassungskrise über die «Ausländer- und 
88 A. de Tocqueville, De la Démocratie en Amérique (Fn. 43), 287. 
89 Zur «Erfindung» des Amerikanischen Volkes, siehe: E.S. Morgan, Inventing the 
People: The Rise of Popular Sovereignty in England and America (Norton, 1989), 
besonders: Kapitel 11. Für die (südstaatliche) Auffassung des 19. Jahrhunderts, es 
gäbe kein «amerikanisches Volk», siehe: H. St. Tucker, Lectures on Constitutional 
Law (Shepherd & Colin, 1843), 95: «For as there is no people of the United States, 
considered aggregately, the sovereignty must be in the people of each State.»; siehe 
auch: A. P. Upshur, A Brief Enquiry into the True Nature and Character of Our Fe- 
deral Government: Being a Review of Judge Story's Commentaries on the Consti- 
tution of the United States (Campbell, 1863), 92: «In the States the sovereign power 
is in the people of the States respectively; and the sovereign power of the United 
States would, for the same reason, be in «he people of the United States, if there 
were any such people, known as a single nation, and the framers of the Federal Go- 
vernment. We have already seen, however, that there are no such people, in a strict 
political sense, and that no such people had any agency in the formation of our Con- 
stitution, but that it was formed by the States, emphatically as such.» 
90 Für Schmitt ist ein «lebendiger» Bund ein Pluralismus mehrerer politischer Ord- 
nungen, in welchem verschiedene Perspektiven zur Souveränitätsfrage — relative — 
Gültigkeit haben. Trotz möglicher Verfassungskonflikte muss die Souveränitäts- 
frage im Bund letztlich immer in der Schwebe bleiben. In den Worten Schmitts: 
«Das Wesen des Bundes liegt in einem Dualismus der politischen Existenz, in einer 
Verbindung bundesmäßigen Zusammenseins und politischer Einheit auf der einen 
Seite mit dem Weiterbestehen einer Mehrheit, einem Pluralismus politischer Einzel- 
einheiten auf der andern Seite. Ein derartiger Schwebezustand müßte an sich zu vie- 
len Konflikten führen, die entschieden werden müssen. [...] Es gehört aber zum 
Wesen des Bundes, daß die Frage der Souveränität zwischen Bund und Gliedstaaten 
immer offenbleibt[.]» Siehe: C. Schmitt, Verfassungslehre (Duncker & Humblot, 
2003), 371 und 373. 
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