III.Rechtsanwendung auf Landesebene 1.These der kohärenten Rechtsanwendungsmethode Der Verfasser hat vor einigen Jahren die These vertreten, dass für das ge- samte liechtensteinische Recht, soweit es den allgemeinen Rechtsanwen- dungsregeln zugänglich ist, also im Wesentlichen unter Ausschluss des Strafrechts, einheitliche Rechtsanwendungsregeln gelten.29Diese Auf- fassung stützt sich auf eine seit dem Aufbrechen der früheren Rechts- einheit ab 1923 unverändert geltende Bestimmung in Art. 101 Ziff. 1 SchlT des Sachenrechts (SR), des ersten Teils des damals geplanten neuen «Liechtensteinischen Zivilgesetzbuchs». Diese besagt, dass bis zur Voll- endung des «Liechtensteinischen Zivilgesetzbuches», also solange ein Rezeptionsbruch vorliegt, die
«Bestimmungen der Art. 1 bis 7 der Ein- leitung (...) Anwendung auf alle Gebiete des Privatrechtes (...)» finden. Diese sind mit jenen des schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) bei- nahe wortgleich. Die Quintessenz war, dass im Interesse der Rechtssi- cherheit eine einheitliche Methodik garantiert werden muss. Die einzige massgebliche Norm für die Methode der Auslegung und der Lückenfül- lung im liechtensteinischen Zivilrecht findet sich in Art. 1 SR sowie in den übrigen Bestimmungen des sog. Einleitungstitels. 2.Stand der Diskussion Die vorstehend genannte These provozierte gewisse Reaktionen: Zu- stimmend äusserten sich Joseph Legerer30und Harald Bösch31; auch die Gerichte bezogen sich in mehreren Entscheidungen auf den vorerwähn- ten Aufsatz.32Elisabeth Berger äusserte sich vor allem kritisch zum for- 56Georges
Baur 29Georges Baur, Normenvielfalt bei der richterlichen Rechtsfindung im liechtenstei- nischen Privatrecht? in: LJZ (Vaduz) 1998, S. 12–24. 30Joseph Legerer, Der Grundsatz von Treu und Glauben im liechtensteinischen Pri- vatrecht, Schaan 2006, S. 69 ff.; der die Argumentationslinie noch vertieft und prä- zisiert hat. 31Harald Bösch, Die Stiftung nach liechtensteinischem Recht, Bern / Wien 2005, S. 30. 32Ohne sich allerdings das Argument vollends zu Eigen zu machen; siehe z. B. StGH vom 25. 10. 2000, StGH 2000/45, LES 2003, S. 252; OGH 7. 5. 1998, 4C 376/96, LES 1998, S. 332.