Volltext: 25 Jahre Liechtenstein-Institut

3.Die Europäische Union — Grösse als Schutzraum für kleine Staaten? Wer die Europäische Union in Analogie zu historischen Bünden, insbe- sondere den Deutschen Bund, betrachtet, übersieht wohl doch das his- torische Vorbildlose dieser «grössten Erfindung unserer Zeit»35: Beste- hende Staaten übertragen freiwillig dauerhaft Souveränitätsrechte auf eine supranationalstaatliche Ebene, wo ein eigener institutioneller Appa- rat ausgebildet wird, der eigenständig staatlich handelt, auf die Bürger al- ler Mitglieder unmittelbar durchgreift und eine nicht mehr von den Ein- zelstaaten abgeleitete Legitimationsgrundlage in Gestalt eines von allen EU-Bürgern gewählten Parlamentes erhält.36 Das Europa der Nationalstaaten, wie es in den Kriegen des 19. Jahrhunderts geschaffen wurde und nach dem Ersten Weltkrieg mit der Auflösung der Habsburgermonarchie und des Osmanischen Rei- chen einen Gipfelpunkt erreichte, schloss Souveränitätsbegrenzung zu- gunsten einer föderativen Ordnung oberhalb der Nationalstaaten prin- zipiell aus. Denn der Nationalstaat zielt im Kern auf Zentralisierung und auf Machtsteigerung. Föderation hingegen bedeutet Machtteilung bis hin zum Souveränitätsverzicht zugunsten übergeordneter Institutionen. Dagegen sperrte sich die historische Idee der Nation und des National- staates ebenso wie das dynastische Prinzip in der Tradition des frühneu- zeitlichen Staates, der seine Staatsqualität in ungeteilter Souveränität ver- ankert sah. Der Nationalstaat mit fürstlichem Haupt blieb deshalb ein festes Bollwerk gegen jeden Versuch einer Föderalisierung der europäi- schen Staatenordnung. Das gilt auch für die nationalen Föderativstaaten wie das monar- chische Deutschland von 1871 und die republikanische Schweiz von 1848. Fähig und bereit zur föderativen Dezentralisierung und damit zur Teilung staatlicher Macht waren sie nur nach innen, nicht gegenüber an- deren Staaten. Das zu betonen ist notwendig, um zu erkennen, wie 263 
Grösse – ein Ideal und seine Widersacher im 19. und 20. Jahrhundert 35Dieter Grimm: Die grösste Erfindung unserer Zeit, in: Frankfurter Allgemeine Zei- tung, 16. 6. 2003, 35. 36Ich habe diese Deutung näher ausgeführt in: Nationalstaaten und Europäische Union –historische Vorbilder für eine staatspolitische Innovation? Erscheint dem- nächst in einem von Thomas Bruha herausgegebenen Tagungsband des Liechten- stein-Instituts zu Grundfragen und Entwicklungsperspektiven des europäischen Föderalismus im Lichte der Verfassungsgeschichte.
	        

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