Volltext: 25 Jahre Liechtenstein-Institut

den Leitspruch, hinter dem sie sich immer wieder versammelten, um dem Kult des machtvoll Grossen das Ideal des rechten bürgerlichen Masses entgegenzustellen.19 Wenn man Kleinstaat erweitert und generell auf den kleinen Raum blickt, so wird Burckhardts Diktum, das aus der Erfahrung des Schwei- zers geschöpft ist, durch die neuere Bürgertumsforschung bestätigt: Die Gemeinde ist der Raum, in dem sich bürgerliches Selbstbewusstsein am frühesten entfaltet hat. Die Vorstellung, erst der Staat habe durch seinen Druck die verkrusteten Kommunen gezwungen, ihre Abwehr gegen Re- formen, die auf eine moderne bürgerliche Gesellschaft zielten, aufzuge- ben, ist für den mitteleuropäischen Raum inzwischen korrigiert.20In den Gemeinden haben die Bürger ihren Weg in die Moderne gefunden, und dort schufen sie eine Zivilgesellschaft, die früher als auf staatlicher Ebene auch diejenigen Gesellschaftsgruppen integrierte, gegen die Vorbehalte bestanden, wie Juden oder Sozialisten. Burckhardts Diktum über die Symbiose von «Bürger in vollem Sinne» und Kleinstaat lässt sich also übertragen auf den Bürger und die Gemeinde. Wer die bürgerliche Freiheit im kleinen Raum am besten aufgeho- ben sieht, war meist auch ein Befürworter des Föderalismus, dessen Ge- schichte in den Nachfolgestaaten des Heiligen Römischen Reiches deut- scher Nation einen eigenständigen Weg genommen hat. Während das napoleonische Modell zur staatlichen Neuordnung Europas auf Zentra- lisierung und Machtkonzentration setzte, schuf das Europa des Wiener Kongresses mit dem Deutschen Bund eine staatenbündisch-föderative Ordnung, die als Schutzraum der kleinen und mindermächtigen Staaten wirkte. Als er im innerdeutschen Krieg 1866 zerbrach, war die national- staatliche Zentralisierung nicht mehr aufzuhalten. In Italien erreichte sie einen vorläufigen Abschluss, und Deutschland erhielt eine staatliche Ge- stalt, die bis heute als Norm gilt. Der Schweizer Historiker Werner Kaegi hingegen hatte ganz anders geurteilt. Wie sein Landsmann Jacob Burckhardt galt ihm der grosse Nationalstaat nicht als ein Wert an sich. Er blickte auf die Verluste, die mit der Entstehung des italienischen und des deutschen Nationalstaates einhergingen. Die «Ehe mit dem Gross- 257 
Grösse – ein Ideal und seine Widersacher im 19. und 20. Jahrhundert 19Ebd. 133, 135. 20Vgl. vor allem die Bände in der von Lothar Gall hrsg. Schriftenreihe «Stadt und Bür- gertum» (München: Oldenbourg Verlag 1990–2002).
	        

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