Zusammen mit mehreren Männern kehrte Ferdinand
Sele wieder zum Unglücksort zurück. Sie trugen den
Leichnam auf einer Bahre in das Elternhaus. Dort be-
nachrichtigte Sele die Mutter vom Tode ihres Sohnes.
Sele konnte sich gemäss seiner Aussage nicht erinnern,
«das Eheweib des Schädler ... angegangen zu haben,
nicht die Wahrheit zu sagen; dies ist lediglich eine Aus-
rede von diesem Weibe».
Nach Seles Meinung hatte sich das Unglück folgen-
dermassen abgespielt: Das Gewehr Schädlers entlud sich
dadurch, dass der gespannte Hahn an einem Gestrüpp
hängen blieb und losging. Schädler hatte das Gewehr am
Morgen mit einer Kugel geladen. Schädler lag nach dem
Schuss auf dem Boden, und zwar auf der rechten Seite.
Das Gewehr befand sich ebenfalls rechts des Leichnams,
knapp an der Brust. Wahrscheinlich, so vermutete Sele,
wollte Schädler das Gewehr mit der linken Hand heben,
als er aufstand und blieb mit dem gespannten Hahn im
Gestrüpp hängen.
Zum Schluss bemerkte Sele, dass er sich nicht mehr
zu helfen wisse, «denn dieser Vorfall erweckt in mir un-
geheuer Gewissensbisse».
Landesverweser von Hausen trat das Erhebungspro-
tokoll dem Landgericht «zur weiteren Amtshandlung»
ab, nachdem Ferdinand Sele des Wilddiebstahls über-
führt erscheine.*
Am 11. September nahm Landesverweser von Hau-
sen ein Protokoll mit Gottlieb Schädler in Vaduz auf.
Schädler war 30 Jahre alt, verheiratet und Vater eines
Kindes.” Er war verschwägert mit Ferdinand Sele, des-
sen Frau eine Schwester Schädlers war.
Gottlieb Schädler machte zum Vorgang des Unglücks-
falles folgende Angaben:
Er war «in der jüngsten Zeit» mit Ferdinand Sele und
Josef Schädler bei einer Jagd auf Hochwild und Gämsen,
welche der Forstinspektor mit dem Finanzwachmeister
in den Alpen abgehalten hatte, als Treiber eingestellt
worden. Bei dieser Gelegenheit verabredeten sich die
drei, «ebenfalls eine Jagd auf eigene Faust zu machen».
Seine weiteren Angaben über den Ablauf des Unglücks-
falles deckten sich grösstenteils mit der Aussage von Fer-
dinand Sele. Er ergänzte dies lediglich mit der Feststel-
lung, dass sie das Fleisch eines eventuell erlegten Wildes
als gemeinschaftliche Beute behandelt hätten.
Auffällig ist die insgesamt doch recht deckungsglei-
che Aussage der beiden Zeugen. Dies betrifft etwa
Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 116, 2017
Zeitangaben (um 4 Uhr Nachmittags machten sie sich
auf den Heimweg) oder die Detailangaben zur Lage der
Leiche (lag auf der rechten Seite, das Gewehr an die
Brust gedrückt und nach links herübergezogen).
Gottlieb Schädler erklärte abschliessend, dass er so er-
schrocken gewesen sei, dass er «zu nichts mehr fähig»
auf Bargälla geblieben sei, als einige Männer von dort
wieder nach Garsälli gingen, um die Leiche nach Hause
zu tragen.
Er bekräftigte auch die Aussage Seles, dass die Leiche
nicht vor dem Haus von der Bahre genommen, sondern
in der Wohnstube auf die Bank gelegt worden sei.
Mit der Familie des Verunglückten hatte Schädler we-
nig Kontakt, da er bei seinem Schwiegervater Altrichter
Johann Beck? (Haus Nr. 67) wohnte und die beiden
Wohnhäuser in grösserer Entfernung standen.
Mit dieser Einvernahme war die von der Regierung
durchgeführte Untersuchung über den Ablauf des Un-
glücksfalles abgeschlossen. Die Regierung konnte offen-
sichtlich kein Fremdverschulden feststellen. Sie ging von
einer durch unglückliche Umstände verursachten Selbst-
tötung aus.
Urteil des Landgerichts
Einvernahme von Ferdinand Sele und Gottlieb Schädler
durch das Landgericht
Bereits am 10. September hatte der Landesverweser
den Fall zur weiteren Untersuchung wegen Wilddieb-
stahls an das Landgericht abgetreten. Landrichter Mar-
kus Kessler lud Ferdinand Sele und Gottlieb Schädler für
den 16. September vor.
34 LI LA J 003/S 1871/073; Protokoll der Befragung des Ferdinand
Sely durch Landesverweser von Hausen am 9. September 1871.
85 Kulmen: Übergang des Rheintales ins Saminatal oberhalb des al-
ten Tunnels. Teilweise wird auch der gesamte Berggrat zwischen
Saminatal und Rheintal mit Kulm bezeichnet. Siehe Namenbuch,
Band 2, S. 133-134. Siehe auch: http://geodaten.llv.li/geoportal/
flurnamenkarte.html.
36 LI LA ] 003/S 1871/073; Schreiben des Landesverwesers an das
Landgericht vom 10. September 1871.
37 LILA J 003/S 1871/073; Protokoll aufgenommen bei der fürst-
lichen Regierung mit Gottlieb Schádler in Vaduz am 11. Septem-
ber 1871.
38 Johann Beck (1821-1897) von Triesenberg. Siehe Familienchronik
Triesenberg, Band 2, S. 22.
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