Volltext: Jahrbuch (2017) (116)

ziehende Gesindl» ungenügend kontrolliert werde und es 
deshalb im Lande sehr viele fremde Bettler gebe. Die Poli- 
zeisoldaten in den Gemeinden seien zur strengsten Pflicht- 
erfüllung anzuhalten, widrigenfalls müssten sie entlassen 
werden. Die «aufgetriebenen fremden Vagabunden» seien 
ausser Landes und über die Grenzen zu bringen." 
Es gab natürlich auch liechtensteinische Bettler und 
Vaganten, die aus den benachbarten Regionen nach 
Liechtenstein abgeschoben wurden. Die Beispiele zeigen, 
dass darunter auch bemitleidenswerte Leute waren. Am 
8. Oktober 1816 teilte das Vorarlberger k. k. Kreisamt mit, 
dass Georg und Benedikt Kirschbaumer nach Liechten- 
stein abgeschoben würden.” Am 24. Mai 1817 wurden 
Xaver Kaufmann von Schaan und Caspar Boss aus Vaduz 
nach Liechtenstein gebracht. Kaufmann war ohne Pass in 
Vorarlberg aufgegriffen worden, Boss war beim Betteln 
erwischt worden und wurde des Diebstahls verdächtigt. 
Die beiden kamen mit einem Verweis davon.? Am 26. Mai 
1817 wurde Gallus Kindle von Triesen, «ein kleiner, ohne 
Pass betrettener, auf den Füssen krumm gewordener Knabe», 
von Hohenems mit Schub zurückgeschickt.?! Am 14. Juni 
1817 ging die Meldung ein, dass die Vaganten Benedikt 
(wohl derselbe wie im Oktober 1816) und Kreszentia 
Kirschbaumer aus Mauren in Bludenz mit einem falschen 
Pass beim Betteln erwischt und nach Liechtenstein abge- 
schoben wurden. In Vaduz wurde Benedikt wegen Pass- 
fälschung mit acht Stockstreichen abgestraft und dann 
nach Mauren gewiesen.“ Am 17. Juni 1817 wurde die 
12-jährige Ursula Öhri von Schellenberg wegen mehreren 
Veruntreuungen abgeschoben und dem Oberamt in Va- 
duz zur Bestrafung eingeliefert. Von diesem wurde sie 
mit einem Schilling bestraft.^ Am 29. Juli 1817 wurde 
Anna Maria Saxer aus Pfullendorf mit «Bettelfuhr» nach 
Triesen gebracht, wo sie am 21. Juli 1817 verstarb.* Wa- 
rum sie nach Triesen abgeschoben wurde, geht aus dem 
kurzen Eintrag im Exhibitenprotokoll nicht hervor. 
Zunahme der Kleinkriminalitàt 
Bedingt durch die Hungersnot nahm die Kleinkriminali- 
tät zu, Raubüberfälle sind hingegen keine verzeichnet. 
Gestohlen wurden Lebensmittel, Vieh und Heu, Geld 
nur in einem Fall. Die Strafen für Diebstahl waren teil- 
weise drakonisch. Männer wurden gewöhnlich mit 
schwerem Arrest und Stockschlägen bestraft, Frauen mit 
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Arrest und unter Umständen auch an den Pranger ge- 
stellt (Schandstrafe). Das Gefängnis in Vaduz war für die 
Unterbringung von Gefangenen nicht besonders geeig- 
net, im Hungerjahr sind mehrere Leute dort gestorben.® 
Das Gefängnis auf dem Schloss war für die Beamten zu- 
dem mühsam, weshalb die Gefangenen nur eine mini- 
male Betreuung erhielten. Für die Verpflegung der 
Gefangenen mussten die Angehörigen sorgen. Um zu 
zeigen, wer was gestohlen hat und wie die Strafen aus- 
fielen, seien hier einige Fälle kurz dargestellt. 
Jakob Motz von Ragaz hatte auf einem Feld in Triesen- 
berg Gerste gestohlen. Er wurde dafür am 29. Juni 
1817 mit 36 Stockstreichen bestraft.“ 
Theresia Frommelt, geborene Schädler, von Triesen- 
berg wurde in Schaan beim «Obstklauben unter einem 
fremden Baum» erwischt. Vom Oberamt wurde sie am 
31. August 1817 zur «öffentlichen Ausstellung vor der 
Berger Pfarrkirche verurtheilt» (das heisst an den 
Pranger gestellt). Mit der Vornahme wurde die Ge- 
meinde Triesenberg beauftragt.” 
Lorenz Matt aus Mauren wurde am 27. September 
1816 wegen Zehntdiebstahl auf einem Feld mit einem 
Arrest von acht Tagen bestraft. 
- Johann Sely von Fromahus wurde wegen Diebstahl 
von Kartoffelsamen, die gerade erst gesteckt worden 
waren, verurteilt. Er gab den Diebstahl von hóchstens 
sechs oder sieben Erdàápfeln zu: «Er hütte dieses wegen 
der grausamen Hungersnoth gethan; gesteht aber eine 
Kuh und ein Kalb im Stalle zu haben.» Seine Strafe: «Als 
ein alter presshafter Mann, der Stockschlüge nicht aushal- 
ten kann, [wurde er] zu einem vierzehntägigen Arreste, 
zum Ersatz des Schadens ... und zu Vergütung sämt- 
licher Akungs- und Untersuchungskosten verurteilt.»* 
— Michel Biedermann von Eschen, 55 Jahre alt, verheira- 
tet, keine Kinder, war Rechenmacher und Wagner, 
daneben hatte er eine kleine Landwirtschaft. Er stahl 
ein Kalb in Gamprin: «Ich hab dies aus Noth gethan, 
denn ich habe seit acht Tagen nichts mehr als blosses 
Gras gegessen.» Am 30. Juli 1817 starb er in der Unter- 
suchungshaft in Vaduz.” 
— Alois Negele aus Giesingen, Mahlknecht beim Rhein- 
müller in Gamprin, verheiratet mit einer Ruggellerin, 
drei kleine Kinder, stahl Fesen, Brotkorn und Türken- 
mehl in der Mühle: «Aus Mangl und Noth, ich habe 
kleine Kinder, die mit dem Weibe nichts hatten und zu 
verdienen war nichts.» Er wurde zu sechs Monaten 
Vogt Paul: Hungerjahre in Liechtenstein
	        

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