Volltext: Jahrbuch (2017) (116)

Am 23. Oktober 2016 ist in seinem achtzigsten Lebensjahr 
in Glasgow Graham Martin verstorben. Der Verstorbene 
ist allen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten mit 
dem liechtensteinischen Bildungswesen befasst haben, 
als Autor des 1984 erschienenen Standardwerks «Das Bil- 
dungswesen des Fürstentums Liechtenstein — Nationale 
und internationale Elemente im Bildungssystem eines 
europáischen Kleinstaates» bekannt. Viele haben Graham 
Martin über seine wissenschaftliche Arbeit kennen- 
gelernt. Ich freute mich als Landesbibliothekar sowie spá- 
ter als Regierungschef und Zustándiger für das Bildungs- 
wesen auf die Gespráche mit ihm, auch wenn ich wusste, 
dass die von ihm auf einem kleinen Notizzettel vorberei- 
teten Fragen oft «unerbittlich» waren und einem die Be- 
grenztheit des eigenen Wissens bewusst machten. 
Das liechtensteinische Bildungswesen war das wis- 
senschaftliche Thema seines Lebens, woraus sich lange 
Aufenthalte hierzulande und viele freundschaftliche Be- 
ziehungen ergaben. Graham Martin war ein grosser 
Freund unseres Landes, gerade weil er als Wissenschaft- 
ler keine Abstriche an seinen Befunden machte und seine 
persónliche Liebenswürdigkeit mit hoher wissenschaft- 
licher Qualität verband. 
Der am 28. Januar 1937 in Crosby bei Liverpool gebo- 
rene Wissenschaftler studierte Germanistik, Romanistik 
und Pädagogik in Cambridge, anschliessend Verglei- 
chende Pädagogik in Dublin. Bereits in dieser Zeit hielt 
er sich für längere Zeit in Liechtenstein auf. Er wirkte an 
Gymnasien in Innsbruck sowie Mitte der 1960er-Jahre 
als Assistent für Englisch an der HSG. 1974 schloss er 
seine Studien an der Universitat Strathclyde in Glasgow 
mit dem Doktortitel (Ph. D.) ab und wirkte 1976 bis 1999 
dort als Hochschullehrer fiir Germanistik sowie bis 2008 
als Honorary Research Fellow. 
Graham Martin verfasste zahlreiche Publikationen 
über Liechtenstein, die neben dem Bildungswesen litera- 
rische Themen und die allgemeine Landeskunde betra- 
fen. Ebenso publizierte er über die deutsche Sprache mit 
Schwerpunkt «Nationale Unterschiede in der Standard- 
sprache». Ausserdem übersetzte er für Liechtenstein 
massgebende Publikationen ins Englische, so auch den 
Schlussbericht der Historikerkommission Liechtenstein 
Zweiter Weltkrieg. 
Das eingangs erwähnte Standardwerk basiert auf 
jahrzehntelangen Vorarbeiten, insbesondere auf seiner 
Dissertation. Graham Martin war ein akribischer Arbei- 
220 
ter, der keine noch so kleine Frage offen lassen wollte. So 
werden im Buch 430 Seiten Text durch 150 Seiten wis- 
senschaftlichen Anhang ergänzt und gestützt, was es zu 
einer Fundgrube für jeden am liechtensteinischen Bil- 
dungswesen Interessierten macht. 
Den eigentlichen «Schatz» dieses Werks bildet aber 
die Gesamtschau, die Einbettung des liechtensteinischen 
Bildungssystems in die internationale Bildungsland- 
schaft und die Betonung der Bedeutung der Schule für 
das Staatsbewusstsein. Zusammen mit dem Bericht «Un- 
sere Zukunftsaufgaben im Bildungswesen» von Leon- 
hard Vogt, gegenüber dem Graham Martin seine Ver- 
bundenheit ausdrückte, war das Werk über viele Jahre 
Basis und Wegweiser für bildungspolitische Entscheide. 
Es ist auch heute noch lesens- und bedenkenswert. 
Eindeutig hat die Arbeit von Graham Martin die 
«Renaissance» des Staatskundeunterrichts an unseren 
Schulen unmittelbar gefördert, wogegen seine Überzeu- 
gung, dass eine Hochschulgründung sich «dann recht- 
fertigen könnte, wenn sie auf einer internationalen — zu- 
mindest europäischen — Basis ruhen würde», erst in spä- 
teren Jahren Allgemeingut wurde. 
Der Schlussabschnitt des Buches befasst sich mit dem 
«Erziehungswesen und Eigenstaatlichkeit», mit den Un- 
tertiteln «Vaterländische Erziehung, Bildungswesen und 
Souveränität sowie Erziehungswesen und Staatsbe- 
wusstsein». Man spürt, dass dieser Bildungsinhalt für 
den Verfasser mehr bedeutet als ein wissenschaftliches 
Thema, er ist ihm ein Herzensanliegen. Das sollte es uns 
heute auch sein. 
Graham Martin kommt das grosse Verdienst zu, fun- 
diert die Eigenheiten und die Möglichkeiten sowie die 
staatspolitische Bedeutung unseres Bildungswesens auf- 
gezeigt zu haben. Er hat damit dessen Entwicklung mass- 
geblich in einem positiven Sinne beeinflusst und hat den 
Blick für Zusammenhänge und in die Zukunft geöffnet. 
Dafür und für die liebenswürdige Weise, wie er diese 
«Entwicklungsarbeit» mit viel Einfühlungsvermögen be- 
trieb, ist Liechtenstein ihm zu bleibendem Dank verpflich- 
tet. Er war ein «Türöffner» aus dem fernen Schottland, 
dem das liechtensteinische Bildungswesen viel verdankt. 
Anschrift des Autors 
Fürstlicher Rat Hans Brunhart, Palduinstrasse 102, 
FL-9496 Balzers 
Brunhart Hans: Graham Martin, 1937 bis 2016
	        

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