Am 31. Dezember 1946 richtete die «Ukrainische Ge-
meinschaft «Liechtenstein»» aus dem Schaaner Lager
eine Neujahrsbotschaft an die liechtensteinische Regie-
rung:
«Mit den besten Wünschen für die Hohe Fürstliche Re-
gierung und für das Land L'stein gratulieren wir zum
neuen Jahr 1947.
Im Namen der Ukrainischen Gemeinschaft «L'steim
Buryj Peter, Cholawka Peter.»
Das Schreiben war mit blauem Zierbàndel in einen festen
Umschlag gebunden, auf dem Umschlag stand handge-
malt: «Ukrainische Gemeinschaft. Liechtenstein. 1947».
In der Mitte prangte ein Wappen, auf blauem Grund in
Gelb ein stilisiertes Schwert mit zwei Seitenflügeln.?
Was bedeutete das rátselhafte Wappen? Es war nichts
anderes als das Wappen der UPA, der «Ukrainischen
Aufstándischen Armee», auch als Dreizack bezeichnet.
Die liechtensteinische Regierung dürfte dies damals
kaum erkannt haben.
Dies enthüllt dreierlei: Erstens waren die internierten
Ukrainer zwar zumeist polnische Staatsbürger, aber zu-
gleich Aktivisten oder Sympathisanten der UPA, also je-
ner Untergrundarmee, die im Krieg und noch über 1945
hinaus gegen Polen und die Sowjetunion für eine unab-
hängige Ukraine kämpfte. Zweitens fühlten sie sich der
UPA und ihren Zielen weiterhin verbunden. Und drit-
tens stützt das UPA-Wappen die Vermutung, dass Sala-
maj und Bury — der Letztere trat auch als einer der Wort-
führer der Ukrainischen Gemeinschaft im Lager Schaan
auf — schon als Jugendliche in ihrer Heimat in der UPA
oder deren Umfeld aktiv gewesen waren.
Arbeit in Landwirtschaft und Strickerei
Die meisten Internierten arbeiteten teils bei Bauern, teils
dann auch bei Erdarbeiten am Rhein. Morgens verliessen
sie das Lager früh zur Arbeit, am Abend kehrten sie für
die Nacht zurück. Arbeit in Gewerbe- und Industrie-
betrieben wurde ausnahmsweise gestattet, soweit keine
einheimischen Arbeitskräfte verfügbar waren.
Salamaj arbeitete ab Juni 1945 bei einem Bauern. Mi-
chael Sinski stand bei Eduard Hilti, Schaan, in Arbeit.
1946 waren Salamaj und Bury weiter als Knechte bei
Bauern tätig, ab Dezember 1946 dann beide gemeinsam
Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 116, 2017
in der «Strickerei Wanger» in Schaan. Josef Salamaj
schliesslich arbeitete vom 20. Mai bis 22. September 1947
in der Textilfabrik «Etablissements Schneider, Schaan».
Der kleine Betrieb von Max C. Schneider lag an der
heutigen Saxgasse im südlichen Teil des Dorfes. Es gab
in jenen Jahren etwa ein Dutzend kleine Strickereien in
Liechtenstein, davon etliche in Schaan.?! Direktor Max C.
Schneider stellte Josef Salamaj am 22. September 1947
eine positive Bestátigung aus: Er habe «als Maschinen-
stricker vorzügliche Leistungen vollbracht ... Wir sind mit
seiner Führung ausserordentlich zufrieden und wünschen
ihm das beste Glück auf seinen weiteren Wegen.»® Kennt-
nisse und Arbeitszeugnis sollten ihm später nützlich
sein.
Gast-Studium am Marianum
Salamaj und Bury waren eigentlich Studenten. Daheim
hätten sie die Hochschule besucht. Hier aber waren sie
abgeschnitten. Sie suchten einen Ausweg. Ende Juni 1946
baten sie die Regierung, das Collegium Marianum in Va-
duz besuchen zu dürfen, wenigstens an drei Tagen die
Woche, «zwecks besserer Ausbildung und damit Er-
leichterung der Weiterreise». Das Marianum war ein ka-
tholisches Gymnasium, geführt von deutschen Ordens-
geistlichen. Es führte nach acht Klassen zur Matura.
Die Regierung erteilte in der Sitzung vom 27. Juni
1946 die Bewilligung. Bedingung war, dass die beiden
Gaststudenten für die Unterrichtskosten selber aufka-
men und an den übrigen drei Wochentagen wie bisher in
der Landwirtschaft arbeiteten. So konnten Salamaj und
Bury von Herbst 1946 bis Sommer 1947 als «Gastschüler»
den Unterricht am Collegium Marianum besuchen,
jeweils an drei Vormittagen, der Nachmittag war frei. Sie
nahmen in den Fächern Deutsche Literatur (6. und
7. Klasse), Philosophie (7. Klasse), Mathematik und Eng-
lisch (je 6. Klasse) teil. Ihnen kam zugute, dass sie in der
32 8. Juni 1946, Lager Schaan, LI LA RF 230/043.
33 LILA RF 230/043 p/70.
34 Mündliche Information von Siegfried Wanger, Schaan, der da-
mals selber eine Strickerei in Schaan fiihrte, an Peter Geiger,
23. Februar 2017, erganzt durch Angaben von Dr. Thomas Wan-
ger, Feldkirch, an Peter Geiger, 16. März 2017.
35 Original, Privatarchiv Paul Salamay.
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